Mittelbayerische Zeitung: Kommentar der „Mittelbayerischen Zeitung“ aus Regensburg zu den neuen Nahost-Friedensverhandlungen

von Thomas Spang

US-Außenminister John Kerry schlug für seine
Nahost-Pendeldiplomatie einige Häme entgegen. Während Syrien und
Ägypten immer tiefer ins Chaos stürzten, habe der Minister nicht
Besseres zu tun gehabt, als seine Energie für eine Wiederbelebung des
Friedensprozesses zwischen Israel und den Palästinensern zu
vergeuden, ätzten Kritiker. Ein aussichtsloser Versuch mit unwilligen
Partnern zur falschen Zeit. Dass die Parteien gestern erstmals seit
dem Abbruch der Gespräche 2010 wieder direkt miteinander reden, darf
der Chef-Diplomat der USA umso mehr als persönliches Verdienst
verbuchen. Hartnäckig ignorierte er die Unkenrufe und rang den
Parteien substanzielle Zugeständnisse ab, die den Weg für neue
Friedensverhandlungen ebneten. Der Likud-Falke Benjamin Netanjahu
machte sich in den eigenen Reihen unbeliebt, weil er der Freilassung
von 104 Palästinensern zustimmte, die wegen Terrorakten in
israelischen Gefängnissen sitzen. Dem Vernehmen nach signalisierte
Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas seinerseits Bereitschaft, am
Ende der Verhandlungen das Existenzrecht des jüdischen Staates
anzuerkennen. Gewiss ein heißes Eisen im palästinensischen Lager. Es
gibt auch andere Gründe, die Kerrys trotzige Prioritätensetzung als
cleveren Schachzug erweisen könnten. Im Unterschied zur Situation in
Syrien und Ägypten haben die USA in der Palästinenserfrage wirksame
Hebel, die sie ansetzen können, um Einfluss auszuüben. Israel bleibt
wegen des Atomstreits mit Iran an den Sicherheitsgarantien der
Amerikaner interessiert. Und es sieht Washington als Garanten, der
eine einseitige Anerkennung Palästinas durch die Vereinten Nationen
aufhalten kann. Die Palästinenser lockt das Versprechen eines eigenen
Staates, dem die internationale Gemeinschaft mit vier Milliarden
Dollar unter die Arme greifen will. Während andere Krisen kommen und
gehen, plagt die Palästinenserfrage die US-Diplomatie beharrlich seit
Jahrzehnten. Der erfahrene Außenpolitiker Kerry weiß das und passte
mit sicherem Instinkt einen Moment relativer Ruhe für seinen Vorstoß
ab. Paradoxerweise ließen die Wirren in der arabischen Welt
ausgerechnet die Autonomiegebiete aus. Die klassischen Spielverderber
Hamas und Hisbollah haben angesichts der Unruhen andernorts mehr denn
je mit sich selbst zu tun. Die Gründung eines Palästinenserstaats,
der in Frieden mit Israel zusammenlebt und dessen Existenz anerkennt,
könnte sich in dieser Perspektive stabilisierend auf die Region
auswirken. Netanjahu steht seinerseits unter internationalem Druck.
Der Taktierer „Bibi“ hatte auf einen Machtwechsel in Washington
gehofft und muss nun mit Barack Obama leben, der von ihm
Entgegenkommen erwartet. Gleichzeitig drängen die Europäer auf eine
Änderung der Siedlungspolitik und die angestrebte
Zwei-Staaten-Lösung. Obwohl ein abermaliges Scheitern
wahrscheinlicher scheint als ein umfassender Ausgleich, stehen die
Chancen für einen Durchbruch besser denn je. Das hat auch mit Martin
Indyk zu tun, der als US-Sonderbeauftragter die Moderation der
Verhandlungen übernehmen soll. Der Architekt des Oslo-Prozesses
genießt das Vertrauen aller Seiten und versteht wie Kerry den Wert
stiller Diplomatie. Knifflige Fragen wie der Status Jerusalems, die
Zukunft der Siedlungen oder die Rückkehr der Flüchtlinge können nur
in privaten Gesprächen gelöst werden. Das beste Zeichen für die
Ernsthaftigkeit der Verhandlungen ist die bisher geübte Diskretion
der Beteiligten. Weder die Amerikaner noch die Israelis oder die
Palästinenser ließen Details nach außen durchdringen. Das Schweigen
lässt hoffen.

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