Mittelbayerische Zeitung: Kommentar: Geistliche Routine

Vier Tage lang war Regensburg Hauptstadt des
deutschen Katholizismus. Fast 100 Stunden Zeit für Kardinäle,
Bischöfe und Weihbischöfe, ein Signal des Aufbruchs zu setzen. Doch
die Chance wurde verpasst. Die Frühjahrsvollversammlung war
Routinegeschäft. In der Geschichte des Kirchenjahrs hinterlässt sie
keine dauerhaften Spuren. Einzig der außer der Reihe präsentierte
Zehn-Punkte-Katalog von Erzbischof Robert Zollitsch zu Lohndumping
und Missbrauch von Zeitarbeit hat das Potenzial für Langzeiteffekte:
Bis Ende 2013 will er alle Unternehmen unter dem Dach der Kirche auf
Kurs bringen. Das weckt Begehrlichkeiten bei den Mitarbeitern. Bisher
gilt erst in rund 80 Prozent der Einrichtungen ein Vergütungsniveau,
das in etwa dem öffentlichen Dienst entspricht. Unbeantwortet ließ
Zollitsch aber eine andere zentrale Frage: die hohen moralischen
Anforderungen an Kirchenmitarbeiter. Der Wunsch nach Vorbildern des
Glaubens in den eigenen Reihen ist verständlich. Doch verspielt die
Kirche nicht selbst ihre Vorbildrolle? Ein Beispiel: Homosexuelle,
die ihre Orientierung offiziell verbergen, haben nichts zu fürchten.
Wer aber eine Lebenspartnerschaft besiegelt, sich ernsthaft zu einer
Liebe bekennt, dem drohen Sanktionen. Zu viel Heikles blieb
ausgeklammert. Das gilt auch für den Missbrauchsskandal, der das
Ansehen der Kirche bis heute schwer beschädigt. Wichtig wäre ein
Treffen mit Opfern gewesen – fernab des Protokolls. Ganz nach dem
Vorbild von Papst Benedikt 2011 in Erfurt: Bei der Begegnung in
kleiner Runde hörte er zu. Die Opfer blieben anonym, die
Zusammenkunft wurde erst zeitverzögert publik. Ein ähnliches Treffen
auf Einladung von Zollitsch, dem Münchner Erzbischof Reinhard Marx
und dem Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller wäre eine große
Geste gewesen. Autor: Christine Schröpf

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