Mittelbayerische Zeitung: Kommentar Sicherheitstests für AKW

Die Atomkatastrophe in Japan hat die Welt kalt
erwischt. Seit die Bilder der verzweifelten Ankämpf-Versuche gegen
das Desaster in Fukushima um den Globus gehen, ist nichts mehr so wie
es einmal war. Während Deutschland bereits erste Konsequenzen gezogen
hat, kommt nun auch die oft so schwerfällige EU in Gang. Das ist gut
so, denn Atomsicherheit darf nicht länger nur eine Frage der
Mitgliedsstaaten sein. Jetzt ist der Zeitpunkt für eine
energiepolitische Wende gekommen. Erst das Erdbeben, dann ein Tsunami
und nun die Atomkatastrophe: Die Verkettung der Ereignisse in Japan
und ihre Folgen gehen über unsere Vorstellungskraft hinaus. Dass
dieses Horrorszenario nun aber Realität geworden ist, zeigt, dass im
Umgang mit der Atomkraft immer mit dem Eintritt des Unvorstellbaren
gerechnet werden muss. Dass atomare Sicherheit tatsächlich
beherrschbar sein soll, wie es die Politik seit der Verdrängung von
Tschernobyl immer wieder propagiert hat, hat sich nun als falsch
erwiesen. Dies ist die erste Lehre, die aus dem Desaster gezogen
werden muss. Dem will sich auch die EU nicht länger verschließen.
Schon bald sollen die europäischen Kraftwerke einem auf EU-Standards
basierenden Sicherheitstest unterzogen werden. Energiekommissar
Günther Oettingers Initiative dazu darf aber nur ein erster Schritt
sein. Denn während man sich in der EU-Kommission über die vage
Zustimmung der Mitgliedsstaaten zu den Stresstests auf die Schultern
klopft, bleiben viele Fragen zunächst offen. Was passiert mit einem
AKW, das den Test nicht besteht? Auf welcher Rechtsgrundlage will
Brüssel dann reagieren? Tatsächlich zeigt sich nun, dass in Sachen
Atomkraft eine gefährliche Rechtslücke in den europäischen Verträgen
klafft. Zwar fördert die EU die Atomenergie jährlich mit über 500
Millionen Euro, doch bei den Vorgaben zur Sicherheit hat sie keine
Kompetenzen. Mit anderen Worten: Bisher gibt es kein einheitliches
Schutzniveau. Da mutet es geradezu absurd an, dass Brüssel die
Abschaffung der Glühbirne vorschreiben kann, bei der Atomsicherheit
aber nichts zu sagen hat. Dabei ist seit der Tschernobyl-Katastrophe
klar, dass die Auswirkungen eines Unfalls nicht vor Landesgrenzen
Halt machen. Der Euroatom-Vertrag muss deshalb im nächsten Schritt
geändert werden. Was sich Europa auf lange Sicht gesehen aber
verordnen muss, ist eine energiepolitische Wende. Die Ereignisse in
Japan sollten den Einstieg in den Ausstieg markieren. Sicher, das
lässt sich nicht von heute auf morgen bewerkstelligen. Immerhin gibt
es innerhalb der EU recht unterschiedliche Auffassungen zur
Atomenergie. Während Österreich komplett darauf verzichtet, erzeugt
Frankreich rund 80 Prozent seines Stroms aus Kernkraft. Und die
Ereignisse in Japan haben Frankreich sowie andere Staaten nicht am
eigenen Weg zweifeln lassen. Dennoch: Brüssel muss sich gegen ein
„Weiter so“ stemmen. Das Zeitfenster dafür ist günstig, um aus der
Katastrophe eine Chance für Europa zu gestalten. Derzeit beginnen die
Verhandlungen darüber, wie viel Geld in der 2014 anlaufenden
Finanzperiode in den Fördertöpfen stecken wird. Anstatt knapp die
Hälfte des Budgets in die Landwirtschaft zu pumpen, sollte ein Teil
davon besser in den Ausbau erneuerbarer Energien fließen. Mehr Wind-,
Solar- oder Wasserkraft bedeutet eine geringere Abhängigkeit von der
Atomkraft. Solche Forderungen mögen viele in der EU für unvorstellbar
halten. Realität werden könnten sie trotzdem – allerdings braucht es
dazu den politischen Willen.

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