Hohe Zeit der Opposition
von Reinhard Zweigler
Was in den vergangenen Jahrzehnten von der Öffentlichkeit
weitgehend unbeachtet und geschäftsmäßig ablief, geriet diese Woche
im Bundestag zum Politikum: die Besetzung der Vorsitze von
Bundestagsausschüssen. Der große Streitpunkt dabei war, dass gleich
drei der Gremien, in denen wichtige fachliche Arbeit des Parlaments
erledigt wird, an die AfD gingen. Sowohl im mächtigen
Haushaltsausschuss, der maßgeblich über den Etat des Bundes
mitbestimmt, als auch im Rechtsausschuss sowie im Tourismusgremium
leiten künftig Abgeordnete der umstrittenen Partei die Sitzungen.
Vorausgegangen waren hitzige Debatten, ob der Partei vom ganz rechten
Rand des politischen Spektrums überhaupt solche hervorgehebenen Ämter
zustünden, ob man die AfD-Abgeordneten nicht zu Märtyrern mache, wenn
man ihnen demokratische Rechte im Parlament vorenthielte. Heftig war
ebenfalls die Debatte über die Personen, die nun die drei Ausschüsse
führen werden. Unter dem Strich wurden im Bundestag beinahe fast
schon salomonische Entscheidungen gefällt. Einerseits bekommt die AfD
die ihr nach den parlamentarischen Regeln zustehenden Vorsitze. Doch
andererseits besteht die Kritik an just diesen Vorsitzenden aus der
AfD fort. In die Rolle des Märtyrers, dem wichtige Posten verwehrt
würden, wird so kein AfD-Abgeordneter gestellt. Verbale Ausfälle, wie
„Hackfresse“ oder „Produkt politischer Inzucht“, mit denen etwa der
neue Chef des Rechtsausschusses, Stephan Brandner, politische Gegner
bezeichnet, sind in der Tat eines Abgeordneten unwürdig. Wäre man
nicht in der Politik, müsste der Anwalt aus Thüringen mit einer
Anzeige wegen Beleidigung rechnen. Ebenso schwer verdaulich ist es,
dass ein wegen Beihilfe zur Körperverletzung zu einer
Bewährungsstrafe – die allerdings noch nicht rechtskräftig ist –
verurteilter Abgeordneter dem Tourismusausschuss vorstehen wird. Mit
der AfD auf den Oppositionsbänken ist leider kein frischer Wind,
sondern dumpfer, völkischer Populismus in den Bundestag eingezogen.
Man darf gespannt sein, welche Kräfte innerhalb des „gärigen Haufens“
der AfD-Fraktion sich am Ende durchsetzen werden. Die gemäßigt
Nationalkonservativen um Alexander Gauland oder die Polit-Radikalen
mit der Nähe zu Rechtsextremen, denen die Demokratie ein Dorn im Auge
ist. Dabei ist die jetzige Situation, in der sich die Verhandlungen
zu einer großen Koalition hinschleppen, eigentlich die hohe Zeit für
Druck durch die Opposition. Die Nicht-Regierungsfraktionen können
ihren Teil dazu beitragen, dass die nächste Regierung keine des
Weiter so, nicht einfach Merkel 4.0 wird. Auch wenn ihre Kritik an
der Regierung mit teilweise völlig unterschiedlichen Absichten geübt
wird. Gleich vier Oppositionsfraktionen stehen der möglichen
künftigen GroKo gegenüber. Die ersten Sitzungen des neuen Bundestages
haben gezeigt, dass es kontroverser, polemischer, bisweilen auch
ruppiger zugeht als in vorhergehenden Wahlperioden. Etwas mehr
Auseinandersetzung, mehr Würze in den Debatten tun dem Hohen Haus
ganz sicher gut. Der Bundestag ist kein Ponyhof. Hier sollen konträre
Positionen aufeinandertreffen. So wie in der breiten Öffentlichkeit
auch. Allerdings gibt es eben keinen Freibrief für gezielte
Verunglimpfungen, persönliche Beleidigungen und Schmähungen durch
Abgeordnete. Gleich welcher Fraktion sie angehören. Der Bundestag
sollte nicht nur den gesellschaftlichen Diskurs widerspiegeln,
sondern ihn auch prägen, Argumente liefern, Fragen aufwerfen,
Lösungen entwerfen, entscheiden. Und im Stil der Auseinandersetzung
Vorbild sein. Letzteres gelingt leider nur selten.
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