Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Gaddafi

Je länger die Weltgemeinschaft dem Gemetzel in
Libyen tatenlos zusieht, umso mehr tickt die Zeit für Muammar
al-Gaddafi. Auch wenn die Rebellen im Osten des Landes die Oberhand
gewonnen haben: Der Tyrann sitzt nach wie vor in seiner Hochburg
Tripolis fest im Sattel. Und er wird sich nicht so leicht vom Thron
stoßen lassen wie der Ägypter Mubarak. Während sich das Militär im
Reich der Pharaonen früh auf die Seite der Aufständischen stellte,
kann sich Gaddafi nach wie vor auf weite Teile der Armee und seine
zahlreichen Spezialeinheiten verlassen. Und auf ein Arsenal von
Hightech-Waffen, das ihm Amerikaner und Europäer im Tausch gegen Öl
lieferten. Dass Gaddafi seit Tagen die Rebellenhochburgen mit
Kampfflugzeugen und Panzern angreift, ist eine grausame
Machtdemonstration, mit der er nicht nur den Durchhaltewillen der
Oppositionellen auf eine harte Probe stellt. Gaddafis Getreue haben
es zudem mit militärischer Härte geschafft, dass die Revolution vor
den Toren der Hauptstadt blieb. Entweder kommt es nun zu einem langen
Bürgerkrieg, der Libyen in Chaos und Gewalt versinken lässt. Oder
Gaddafi gelingt es tatsächlich, wieder die Oberhand im ganzen Land zu
gewinnen, indem er den Aufstand mit einem großen Blutbad
niederschlägt – um dann ein noch schlimmeres Regime aus Terror und
Unterdrückung zu errichten. Das Zögern von US-Präsident Barack Obama
ist nur zu verständlich. Für eine Militäroperation müsste es zunächst
ein UN-Mandat geben. Das dürfte jedoch am Widerstand Chinas und
Russlands scheitern. Und die Amerikaner wollen sich nach dem Debakel
im Irak und in Afghanistan nicht leichtfertig in ein weiteres
Militärabenteuer in einem muslimischen Land hineinziehen lassen.
Bereits die Durchsetzung einer Flugverbotszone käme einem Krieg
gleich. Denn dazu müsste das US-Militär libysche Abwehrstellungen
bombardieren. Außerdem ließe sich das Gaddafi-Regime mit
Luftangriffen allein nicht beseitigen. Dazu wäre eine Bodeninvasion
unvermeidlich. Doch Bilder von amerikanischen Soldaten in Libyen
würden nicht nur in der westlichen Welt auf Widerstand stoßen. In den
arabischen Ländern würden die Truppen nicht als Befreier betrachtet,
sondern als Kreuzritter auf Raubzug nach Erdöl. Gaddafi bringt die
freie Welt in ein Dilemma. Der Westen kann im Augenblick nicht mehr
tun, als den Flüchtlingen zu helfen und die Sanktionen gegen das
Regime zu verschärfen. Doch internationale Strafmaßnahmen hat der
Tyrann schon einmal unbeschadet überstanden. Die Zeit spielt im
Augenblick für Gaddafi.

Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de