Der italienische Patient
von Julius Müller-Meiningen
Kann das gut gehen? Ein weitgehend unbekannter Juraprofessor ohne
politische Erfahrung soll die erste, von zwei populistischen Parteien
getragene Regierung in Italien führen. Die linkspopulistische,
systemkritische Fünf-Sterne-Bewegung und die rechtsnationalistische,
fremdenfeindliche Lega sind an sich schon zwei Unbekannte, wenn es um
die Umsetzung politischer Programme geht. Nun kommt mit Conte der
nächste Unsicherheitsfaktor hinzu. Auch deshalb zögerte
Staatspräsident Sergio Mattarella damit, den 54-jährigen Juristen
sogleich mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Die Sorge, bei
Conte könne es sich um eine Marionette handeln, treibt den Staatschef
um. Und doch ist die italienische Politik besonders dieser Tage mit
Realismus zu betrachten. Es ist institutionell gesehen schon ein
Erfolg, dass sich Fünf-Sterne-Bewegung und Lega knapp 80 Tage nach
den Parlamentswahlen auf eine Regierung und einen Ministerpräsidenten
geeinigt haben. Die Alternative wären Neuwahlen, da die Parteien die
Zustimmung zu einer neutralen, vom Staatspräsidenten bestimmten
Technokraten-Regierung verweigerten. Neuwahlen bergen mehrere
Risiken, vor allem würde zunächst der Stillstand in Rom fortgesetzt.
Den Sieg könnte dann ein in den Umfragen immer besser abschneidendes
Mitte-Rechts-Bündnis aus Lega, Silvio Berlusconis Forza Italia sowie
einer postfaschistischen Splitterpartei davontragen. Von außen
betrachtet mag die Wahl zwischen Berlusconis Rückkehr und einer von
der Fünf-Sterne-Bewegung geführten Regierung wie die Entscheidung
zwischen Regen und Traufe erscheinen. Tatsache ist: Die Italiener
haben längst entschieden, in welche Richtung ihr Land geführt werden
soll. Die Wahlsieger, Fünf-Sterne-Bewegung und Lega, haben eine klare
Mehrheit hinter sich. Umfragen zeigen, dass die Zustimmung für die
Populisten derzeit noch weiter steigt. Sechs von zehn Italienern
wollen, dass die Populisten-Regierung endlich mit der Arbeit beginnt.
Wer nun das Ende Europas oder zumindest des Euro heraufbeschwört,
muss sich fragen lassen, wie ernst er die Demokratie und ihre
Mechanismen nimmt. Stattdessen wäre der Krise auf den Grund zu gehen:
Ist Italien unfähig, sich nachhaltig zu erneuern oder gibt es
objektive Gründe, warum Reformen auf EU-Ebene überfällig sind? Die
unsolidarische Haltung der EU-Nachbarn in der Flüchtlingsfrage hat
die Lega erst stark gemacht. Die Populisten sollten schnellstens auf
die Probe gestellt werden. Die Umsetzung der Wahlversprechen wie die
Einführung eines Grundeinkommens für Arbeitslose, die Reduzierung des
Renteneintrittsalters und niedrige Steuern sind keine Verbrechen.
Äußerst fraglich ist ihre Finanzierung. In Rom versprach die
Bürgermeisterin der Fünf-Sterne-Bewegung vor zwei Jahren einen neuen
Frühling für die italienische Hauptstadt. Passiert ist bisher so gut
wie nichts. Eine Revolution zu versprechen, ist leicht. Sie
umzusetzen, wesentlich schwieriger. Das gilt auch für die kommende
Regierung. Auch im Hinblick auf die Veränderung der EU-Verträge haben
die Populisten schon im Wahlkampf und während der Koalitionsgespräche
ihre Positionen abgemildert. Vom Euro-Austritt ist keine Rede mehr.
Nun muss sich zeigen, wie viel vom Crashkurs übrig bleibt, wenn Lega
und Fünf-Sterne-Bewegung tatsächlich an der Macht sind. Die
EU-Verträge einseitig aufzukündigen, ist eine Illusion. Man kann über
die Regeln schimpfen, verändern kann man sie nur, wenn man genügend
Partner findet, die derselben Meinung sind. Auch, was die
Einschätzungen der Ratingagenturen und Finanzmärkte im Hinblick auf
die Zahlbarkeit der enorm hohen Staatsschulden Italiens angeht, gilt
dasselbe. Panikmache aufgrund düsterer Aussichten ist
unverantwortlich. Ankündigungen und Umsetzungen sind zweierlei Paar
Schuhe. Es kommt darauf an, ob und wie die Populisten ihr ex-trem
vage gehaltenes Programm umsetzen.
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