Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zuÖsterreich: Österreich geht zurück auf Los von Reinhard Zweigler

Paukenschlag in Wien. Dass das
Verfassungsgericht in Österreich die Bundespräsidentenwahl nun,
Monopoly-mäßig, zurück auf Anfang stellte, ist eine faustdicke
Überraschung. Die Verfassungsrichter hätten auch eine Neuauszählung
der abgegebenen Stimmen, vor allem jener strittigen Voten per Brief,
aufgeben können. Doch die obersten Richter der Alpenrepublik haben
anders entschieden. Ihre Entscheidung, die knappe Stichwahl zwischen
dem Grünen Alexander Van der Bellen und dem “ Freiheitlichen“ Norbert
Hofer im Herbst zu wiederholen, stürzt zwar Österreich wieder in
einen Wahlkampf, den eigentlich keiner will. Dennoch ist der
Richterspruch vertretbar. In einer wirklichen Demokratie darf keine
Wahl auch nur den geringsten Anschein in sich tragen, es sei nicht
alles mit rechten Dingen zugegangen. Sollten bei der relativ hohen
Zahl der Stimmen, die per Briefwahl abgegeben wurden, wirklich
Kuverts vorab und ohne Beisein der vorgeschriebenen Wahlbehörden
geöffnet und ausgezählt worden sein, wäre das ein massiver
Verfahrensfehler, der eine Wahlwiederholung rechtfertigt. Zugleich
jedoch ist das Triumphgeheul von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache
fehl am Platz. Die Verfassungsrichter haben formale Mängel bei der
Auszählung moniert. Doch sie haben gerade nicht festgestellt, dass
der Ausgang der knappen Stichwahl manipuliert wurde. Für einen
Wahlbetrug, für welchen der beiden Kandidaten auch immer, hat das
Gericht keine Anhaltspunkte gefunden. Die österreichische Justiz hat
zugleich gezeigt, dass sie unabhängig ist. Sie hat dem Staat, in
Gestalt der Wahlbehörden, absolute Sorgfalt aufgetragen. Beim
nächsten Urnengang und bei der nächsten Auszählung der Stimmen. Dass
sich die Freiheitliche Partei in Österreich nun zum moralischen
Sieger aufplustert, war zu erwarten. Dies sagt freilich noch nichts
darüber aus, ob dies auch eine Mehrheit der österreichischen Wähler
genau so sieht. Die spannende Frage ist doch vielmehr, ob die
Österreicher wegen des langwierigen politisch-juristischen Prozederes
nun nicht eher wahlmüde geworden sind oder ob ein Nun-erst-recht um
sich greift. Hofer sah nach dem ersten Wahlgang bereits wie der
sichere Sieger aus. Aber dann wurde er in der Stichwahl doch noch von
Van der Bellen abgefangen. Weil offenbar viele Österreicher lieber
ein weltoffenes, liberales statt ein nationalistisches und
europafeindliches Staatsoberhaupt in der Hofburg haben wollen.
Vielleicht wirkt in diese Richtung auch die Brexit-Entscheidung von
vergangener Woche nach, die viele Briten nun allerdings gerne
revidieren würden. Für die meisten Österreicher mag gelten, was für
viele andere Europäer auch zu gelten scheint: Man schimpft zwar auf
die Brüsseler Bürokratie – häufig zu Recht – aber völlig aus der
Familie der EU ausscheiden, will man dann doch nicht. Und oft ist
Brüssel doch nur der Sündenbock für unliebsame Entscheidungen, die
zuvor von den nationalen Regierungen abgesegnet wurden. Recht seltsam
und vordergründig wirkt indes das Schwadronieren von AfD-Chef Jörg
Meuthen von einem Wahlbetrug. Sowohl in der Alpenrepublik als auch
bei den jüngsten Landtagswahlen in Deutschland. Meuthen versucht, aus
dem Wiener Richterspruch Honig zu saugen für seine Schein-Alternative
für Deutschland. Im Gegensatz zu seinen FPÖ-Kollegen im Geiste haben
die Vertreter der Alternative für Deutschland hierzulande allerdings
nicht wegen Unregelmäßigkeiten bei Wahlen geklagt.

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