Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel „Mittelbayerische Zeitung“ Regensburg zu Mladic

Ungeteiltes Lob hat die serbische Regierung
nach der Verhaftung von Ratko Mladic nicht geerntet. Hatte sie selbst
den Mann nicht fünfzehn Jahre lang der Justiz entzogen? Und war seine
Verhaftung nicht ein schnödes Tauschgeschäft? Europa, hieß es, kriegt
seinen Mladic, den es ja unbedingt haben wollte, und Serbien wird
dafür mit dem Status des EU-Kandidaten belohnt. Sein Präsident Boris
Tadic braucht tatsächlich einen Erfolg, wenn er mit seiner Partei bei
der nächsten Wahl überhaupt eine Chance haben will. Beide
Vorhaltungen sind unfair. Wenn man schon Tausch sprechen will, dann
muss man zur Kenntnis nehmen, dass Serbien auch seine Haltung zur
Vergangenheit gegen eine andere eingetauscht hat. Die Festnahme und
Auslieferung von Slobodan Milosevic vor zehn Jahren hat selbst der
damalige Reform-Premier Zoran Djindjic noch ausdrücklich als den
„Preis“ bezeichnet, den Serbien eben zahlen müsse, wenn es zum
europäischen Klub gehören wolle. Präsident Tadic dagegen sprach von
einer „moralischen Verpflichtung gegenüber den Opfern und ihren
Familien“. So etwas hat man noch nicht gehört. Die neue Demut mag den
Angehörigen der Opfer billig vorkommen. Sie kostet Serbien aber auch
etwas. Hier ist kein Schimmer mehr vom Anspruch, wenigstens eine
regionale Vormacht zu sein, kein Versuch mehr, die Verbrechen der
eigenen Seite gegen die der anderen aufzurechnen. Tadics Sätze stehen
auch nicht isoliert da. 2010 hat das Parlament in Belgrad das
Massaker von Srebrenica mit einer Erklärung verurteilt, die immerhin
den Schluss zulässt, es habe sich um einen Fall von Völkermord
gehandelt. Wem das zu wenig ist, der möge sich die gewundenen
Erklärungen anhören, die sich bundesdeutsche Politiker noch um das
Jahr 1960 über Deutschlands Rolle im Zweiten Weltkrieg abrangen. Die
„Jagd auf Mladic“ schließlich, wie sie jetzt immer wieder höhnisch
zitiert wird, hat wenigstens in den letzten drei Jahren ihren Namen
verdient. Die fünfzehn Jahre, die der General sich der
internationalen Justiz entzog, zerfallen in drei Phasen. Bis 2001,
als Djindjic den abgewählten Präsidenten Milosevic nach Den Haag
auslieferte, galt Mladic tatsächlich als unantastbar. In den Jahren
darauf versuchte die Regierung mit mehr oder weniger großem Erfolg,
ihren Polizei- und Armeeapparat in ihre Gewalt zu bekommen und
Mladics Beschützer ausfindig zu machen. Höhepunkt dieser Phase war
die Verhaftung von Radovan Karadzic vor drei Jahren. Der zweitmeist
Gesuchte wurde am Ende von den Polizisten enttarnt und verhaftet, die
ihn zuvor bewacht hatten. Man fand einen Deal mit illoyalen
Polizisten, die nur einen Schalter umlegen mussten, um wieder loyal
zu sein. Um Mladic zu fangen, half kein solcher Deal. Ivica Dacic
musste sich vielmehr erst den ganzen Polizeiapparat unterwerfen –
eine Herkulesaufgabe in einem Land, wo traditionell jeder, und erst
recht jeder Polizist, sein bisschen Macht für eigene Zwecke nützt.
Die Anstrengung hat sich gelohnt. Paradoxerweise ist es gerade
Mladic, der so dem Land eine straff geführte Polizei und eine gar
nicht mehr so schlecht funktionierende Justiz beschert hat. Um die
unbestechliche und vor politischen Eingriffen geschützte
Sonderstaatsanwaltschaft in Belgrad wird das Land von seinen Nachbarn
inzwischen beneidet. Die neuen, loyalen Kräften wussten allerdings
wirklich nicht, wo sie Mladic suchen sollten. Mit ihnen musste die
Jagd auf den Kriegsverbrecher von vorne beginnen. Der Weg nach Europa
wird für Serbien dennoch keine Autobahn. Die Korruption und das
organisierte Verbrechen sind nach den Reformen, die die Jagd nach
Mladic mit sich brachte, zwar leichter zu bekämpfen. Sie sind
andererseits aber auch sehr präsent. Umso wichtiger ist der
Fortschritt, der Belgrad mit der Ergreifung Mladics gelungen ist. Wer
ihn als Kuhhandel abtut, stößt das Land zurück in den Zynismus, aus
dem es sich gerade befreit.

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