Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel „Mittelbayerische Zeitung“ (Regensburg) zu Seligsprechung

Johannes Paul II. war ohne jeden Zweifel eine
herausragende Gestalt der Weltgeschichte. Der polnische Papst hat
nicht nur durch sein politisches Wirken entscheidend zum friedlichen
Ende des Kalten Krieges beigetragen. Vielmehr hat er dem Christentum
insgesamt, weit über die Grenzen des Katholizismus hinaus, zu einer
Präsenz verholfen, die es 2000 Jahre nach seiner Entstehung ohne
Johannes Paul II. nie und nimmer gehabt hätte. Wo auch immer dieser
Papst auf seinen mehr als 100 Pilgerreisen auftrat, da schlug er die
Menschen durch sein persönliches Charisma in den Bann Gottes. Karol
Wojtyla war ein Mann der gelebten Nächstenliebe. Er liebte das Leben
– bis in seinen spektakulären, öffentlich ausgetragenen Todeskampf
hinein. All das machte ihn und seine Kirche im Wortsinne
glaub-würdig. Umso verblüffender ist es zu sehen, wie schnell der
Glanz des Jahrhundert-Papstes verblasst ist. Die Rede ist nicht von
der Million Pilger aus aller Welt, die sich auf den Weg nach Rom
machten, um der Seligsprechung beizuwohnen. Sie sind aufs Ganze
gesehen nur ein harter Kern, den es in der katholischen Kirche auch
ohne Johannes Paul II. gegeben hätte und noch immer gibt. Es geht um
die erkaltete Masse der einst feurigen Papst-Anhänger. Am
deutlichsten zeigt sich dieses Desinteresse in Wojtylas polnischer
Heimat. Dort hakten viele Menschen die sonntäglichen Feiern wie einen
Routinetermin ab. Vor sechs Jahren noch, nach dem Tod des
Kirchenoberhauptes, hatten Trauernde weltweit „Santo subito!“
skandiert und die sofortige Heiligsprechung ihres Lieblings
gefordert. In der Rückschau betrachtet war dies allerdings kaum mehr
als der zum Scheitern verurteilte Versuch, Karol Wojtyla bei sich
behalten zu wollen. Einen Toten zu verehren, ist aber etwas anderes,
als einem lebenden Idol nachzustreben. Deshalb war es ein Fehler des
Vatikans, dem Drängen der Gläubigen nachzugeben und Johannes Paul II.
im Eiltempo seligzusprechen. Die Inszenierungen gestern, ob auf dem
Petersplatz in Rom oder dem Pilsudski-Platz in Warschau, waren ein
Abklatsch dessen, was der nun selige Papst zu Lebzeiten selbst zu
zelebrieren vermochte. Sie waren der misslungene Versuch, wenigstens
einige Strahlen vom Glanz Johannes Pauls einzufangen – auf dass sein
spätes Licht auf seinen Nachfolger und dessen Brüder fallen möge.
Aber so einfach ist es nicht. Die rasante Seligsprechung wird dem
Geehrten selbst nicht gerecht. Weit wichtiger wäre eine inhaltliche
Auseinandersetzung mit den Lehren und dem Wirken Johannes Pauls II.
Der Pole ist ja nicht nur durch die Welt gejettet und hat mit den
Menschen Messen gefeiert. Er war ein herausragender Philosoph und
Theologe, der dem von Gott gegebenen Leben einen extrem hohen
Stellenwert eingeräumt hat. Schon wahr: Johannes Paul verteufelte
Abtreibung und Verhütung. Kondome blieben auch angesichts Millionen
Aidskranker verboten. Doch niemand muss Johannes Paul II. in all dem
bis zuletzt folgen. Diskussionswürdig bleibt der päpstliche
Standpunkt gleichwohl. Denn der Stellenwert, den die Menschheit dem
Leben heutzutage beimisst, ist nicht sonderlich hoch. Das zeigt sich
nicht nur in chinesischen Todeszellen und iranischen
Foltergefängnissen. Es zeigt sich auch an der unreflektierten
Schnelligkeit, mit der westliche Staaten Kampfflugzeuge nach Libyen
schicken. Und es zeigt sich tagtäglich in unserem Umgang mit Alten,
Kranken und Gebrechlichen. Johannes Paul II. lebte und lehrte gegen
diese Herabwürdigung des Lebens an. Er war mehr als ein Papst. Er war
ein großer Mensch.

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