Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel Mittelbayerische Zeitung (Regensburg) zur China-Reise von Bundeskanzlerin Merkel:

Das chinesische Horoskop sagt für das jetzige
Jahr des Hundes voraus, es werde Anstrengung und Frustration, aber
auch Glück und Fröhlichkeit bringen. Die analytisch kühle Angela
Merkel, die bereits ihren elften China-Besuch als Kanzlerin
absolviert, hält freilich nichts von solchen Prophezeiungen aus den
Sternen. Sie hat im Gegensatz zu vielen anderen Politikern früh die
riesigen Chancen erkannt, die sich aus der Zusammenarbeit mit dem an
die Weltspitze strebenden Reich der Mitte ergeben. Das gilt auf
wirtschaftlichem wie politischem Gebiet. Obwohl es auf der anderen
Seite riesige Differenzen in den Anschauungen über Demokratie,
Menschen- und Bürgerrechte, über Rechtsstaat und Medien gibt, wird
China als Partner gebraucht. Die deutsche Kanzlerin hat nicht weniger
als eine schwierige Gratwanderung zu meistern. Sie muss einerseits
China, vor allem dessen übermächtigen Staatschef Xi Jinping, für
internationale Projekte gewinnen, etwa für die Aufrechterhaltung des
Atomvertrages mit dem Iran und für freien Welthandel, gegen Trumps
Protektionismus und Strafzölle-Politik. Andererseits darf sie keinen
Zweifel an den demokratischen Werten aufkommen lassen, denen vor
allem das vereinte Europa verpflichtet ist. Dabei sollte sie
keinesfalls belehrend auftreten. Aber das weiß Merkel längst. Nur der
Sanftmütige kommt zum Ziel, lautet ein chinesisches Sprichwort.
Peking ist weitgehend taub, wenn ihm westliche Politiker Ratschläge
erteilen. Der grandiose wirtschaftliche Erfolg des noch vor wenigen
Jahrzehnten rückständigen und von Hunger geplagten Landes scheint Xi
Jinping und seiner Nomenklatura vor der alles regelnden
Kommunistischen Partei Recht zu geben. Zugleich ist das moderne China
mit schwindelerregenden Wachstumsraten und einer rasanten
technologischen Entwicklung in den vergangenen Jahren zu einem nicht
mehr wegzudenkenden Wirtschaftspartner Deutschlands geworden. China
ist dabei eines der wenigen Länder, bei denen der Exportriese
Deutschland ein Handelsdefizit hat. Es werden knapp 13 Milliarden
Euro weniger Waren und Dienstleistungen nach China exportiert als
umgekehrt. Allerdings schließt sich die Schere langsam. Angesichts
des effizienten, tatkräftigen Machtstaates China geraten deutsche
Konzernbosse geradezu in Verzückung. Aufträge aus der
Staatswirtschaft sind riesig, und die Gefahr, dass nicht bezahlt
wird, ist äußerst gering. Zugleich jedoch stöhnen deutsche
Unternehmen unter Reglementierungen. Während chinesisches Kapital
nahezu ungehinderten Zugang zum deutschen Markt hat, hält Peking
sklavisch am Zwang zu Joint Ventures fest. Ausländische Investoren
müssen einen chinesischen Partner mit ins Boot holen, der die
Mehrheit behält. Das dürfte Merkel kaum ändern können. Doch dass
China den liberalen Weltmarkt nutzt, um Hightech-Technologien
abzugreifen, um sich bei strategisch wichtigen Unternehmen des
Westens einzukaufen oder sie zu übernehmen – wie beim Augsburger
Roboterunternehmen Kuka – darf in den Gesprächen nicht unter den
Tisch fallen. Dem Technologie- und Patenteklau, in China fast eine
wirtschaftliche Tugend, muss ein Riegel vorgeschoben werden. Auch,
wenn es schwer wird, ihn zu stoppen. Deutsche Investitionen brauchen
in China genau so viel Sicherheit, wie es umgekehrt für chinesisches
Kapital hierzulande bereits der Fall ist. Bei strategischen
Übernahmen wiederum nutzt Berlin die Möglichkeiten des
Außenwirtschaftsgesetzes viel zu zaghaft, meistens gar nicht, um
strategische deutsche Interessen zu wahren. Merkel will diesmal auch
chinesische Wissenschaftler und Künstler treffen. Ein versöhnliches
Signal aus Peking wäre es, wenn die schwerkranke Dichterin Liu Xia,
die Witwe des Friedensnobelpreisträgers und Bürgerrechtlers Liu
Xiaobo, nach Berlin ausreisen könnte. Im Jahr des Hundes könne alles
in Bewegung gesetzt werden durch persönliche Bemühungen, heißt es im
chinesischen Horoskop. Man wird sehen.

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