Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel Mittelbayerische Zeitung zuÄgypten

Die Stunde des Militärs

Mubaraks grotesker Abschied von der Macht ist erst der Beginn der
Despoten-Dämmerung.

Das langsame Dahinscheiden des letzten Pharaos erinnert in seiner
Tragik an die letzten Tage im Führerbunker: Obwohl der Untergang
nahte, klammerte sich Husni Mubarak an die Macht – ohne sich um das
Schicksal des eigenen Volks zu scheren. Doch er erkaufte sich nur
eine Gnadenfrist für wenige Stunden. Mit seiner letzten
Fernsehansprache demaskierte sich der Herrscher von Kairo als ein der
Welt Entrückter, der mit seinem Altersstarrsinn und seinem
Realitätsverlust möglicherweise genau das erreicht, was er angeblich
vermeiden wollte: Ägypten ins Chaos zu stürzen. Nein, das war es
nicht, was die Demonstranten von Mubarak hören wollten, als er in
vielen verschwurbelten Sätzen kundtat, dass er nicht zurückzutreten
gedenke. Anstatt die erlösenden Worte zu sagen, die die Lage
entspannt hätten, listete er in einer langen Litanei auf, welche
Verfassungsartikel er demnächst ändern werde. Aber ausgerechnet die
wichtigsten Befugnisse, nämlich die Verfassungsgewalt sowie das
Recht, Minister zu entlassen und das Parlament aufzulösen, wollte
Mubarak nicht an seinen Vize Omar Suleiman abgeben. Von einem
Machtwechsel konnte also nicht die Rede sein. Der Despot wollte um
jeden Preis vermeiden, als Präsident in die Geschichtsbücher
einzugehen, der vom Volk gestürzt wurde. Aber mit seiner letzten
Fernsehansprache hat Mubarak geschafft, was der Protestbewegung
bisher nicht gelang: Das ganze Land quer durch alle
Bevölkerungsschichten gegen ihn aufzubringen – und das Militär. Was
als Protest zorniger und perspektivloser Jugendlicher begann, ist zu
einer Revolution angeschwollen, die inzwischen auch von Arbeitern,
Beamten und Beduinenstämmen selbst in entlegenen Landesteilen
getragen wird. Die Generation der Eltern und Großeltern will nicht
länger zusehen, wie ihre demonstrierenden Kinder und Enkel von den
wildgewordenen Schergen Mubaraks totgeprügelt oder in
Foltergefängnisse geworfen werden. Die Dramaturgie der Ereignisse
deutet klar darauf hin, dass jetzt die Stunde der Generäle geschlagen
hat. Zunächst überbrachte ein hoher Vertreter der Armee den
Demonstranten am Donnerstag die Botschaft, alle ihre Forderungen
würden am Abend erfüllt. Stunden später hielt Mubarak seine
Durchhalte-Rede, mit der er die Militärs brüskierte. Am Freitag zog
die Opposition vor den Präsidentenpalast. Die Flucht Mubaraks und
sein anschließender Rücktritt lassen sich nur damit erklären, dass
die Generäle den Pharao fallen ließen und ihn aus dem Amt drängten.
Ägypten steuert nun auf unsichere Zeiten zu, denn die Situation ist
hochriskant: Es droht ein Machtvakuum, das die Soldateska nicht
zulassen kann. Denkbar ist ein Militärputsch, bei dem eine Marionette
als Präsident installiert wird. Hoffentlich läuft es nicht auf
Geheimdienstchef Suleiman hinaus, den obersten Folterknecht Mubaraks,
eine Interimsregierung zu führen. Dann würden die Proteste auf den
Straßen weitergehen und schlimmstenfalls blutig niedergeschlagen.
Denn die Armee hat viele Pfründe zu verlieren, die ihr das System
Mubarak garantierte. Es könnte aber auch genau andersherum kommen:
Drei Wochen lang stand das Militär – zumindest nach außen hin – auf
der Seite des Volkes. Es verpasste dem Tyrannen am Freitag den
entscheidenden Schubs von seinem Thron. Die Generäle könnten jetzt
auch eine Übergangszeit ausrufen, von der niemand weiß, wie lange sie
dauert, an deren Ende aber dann tatsächlich freie Wahlen stehen. Die
arabische Revolution ist nicht vorbei – sie beginnt erst. Mit Mubarak
ist der mächtigste Steinzeit-Potentat der Region gefallen. Das ist
ein unüberhörbares Signal an die arabische Welt: Die
Despoten-Dämmerung ist nicht mehr aufzuhalten.

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