Eine Revolution, weiß der der Duden, ist eine
umwälzende, bisher Bestehendes verdrängende, grundlegende Neuerung.
Genau das findet momentan statt: Die Digitalisierung ist schon lange
kein schleichender Prozess mehr. So wie aus Tante Emma Amazon
geworden ist, sind Briefe längst Kurznachrichten, werden Autos zu
Ubers, aus Wohnzimmern Smarthomes, aus Fernsehen Netflix. Am Ende
wird eine vollständig neue, vor einigen Jahren nicht einmal denkbare
Gesellschaft stehen. Das betrifft auch die Arbeitswelt. Die
industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts schuf die
Massenproduktion in Fabriken, machte aus Selbstversorgern Arbeiter
und Arbeitnehmer, trennte Arbeitsplatz und Wohnort, Familienleben und
Beruf, Arbeit und Freizeit. In der Folge entstanden völlig neue
Gesellschaftstheorien und -formen. Das heutige Erziehungs- und
Ausbildungswesen, aber auch Arbeitsschutzrechte und Gewerkschaften
entwickelten sich gemäß den Anforderungen der neuen Industrien und
der Gesellschaft, die sie umgab. Die Digitalisierung schafft nun ganz
neue Fakten, neue Anforderungen und neue Berufsbilder. Kleine und
große Unternehmen im Silicon Valley entwickeln Arbeitsmodelle, die
Arbeitsplatz und Wohnort, Familienleben und Beruf, Arbeit und
Freizeit auf ganz neue Art und Weise wieder verbinden.
Kinderbetreuung, Wäschereinigung, Fitnessstudio und Nachtclub auf dem
Firmengelände, die Kostenübernahme für die Putzfrau oder das
Einfrieren von Eizellen: Das Privatleben wird so in die Arbeitswelt
integriert, dass es die Produktivität am Arbeitsplatz möglichst wenig
stört – und in vielen Fällen sind die Arbeitnehmer darüber sogar
froh. Auch in Deutschland sind Arbeitsmodelle, in denen die Grenzen
zwischen Freizeit und Arbeit verschwimmen, mehr und mehr die Regel.
Und auch das, was in den USA als „Gig-work“ weit verbreitet ist,
greift auch in Deutschland immer mehr Raum: Über Internetplattformen
ist es möglich, zeitweise die eigene Wohnung zu vermieten,
Teilzeitaufträge anzunehmen oder einzelne Fahrdienste mit dem
Privatauto anzubieten. So erreicht die Digitalisierung auch Branchen,
von denen nie jemand erwartet hätte, dass sie sich wandeln müssen:
Das Hotelgewerbe oder die Taxifahrer, beispielsweise. Für die
Beschäftigten ist das mal Nebenjob zur Aufbesserung der
Haushaltskasse, mal unabhängigkeitssicherndes Existenzmodell, mal
pure Not-Wendigkeit im wahrsten Sinne des Wortes. Für Gewerkschaften
ist diese Arbeit ohne Mindestlohn, Betriebsrat oder Arbeitsschutz ein
Alptraum. Doch auch sie ringen um Antworten, wie die neuen
Arbeitswelten organisiert werden können. Das ist nicht verwunderlich,
denn ihre Werkzeuge – die Arbeitnehmervertretung, die Tarifverträge –
hat die industrielle Revolution hervorgebracht. Die digitale
Revolution mit ihren neuen Arbeitsmodellen, Partizipations- und
Kommunikationsmöglichkeiten verändert die klassischen Unternehmens-
und Betriebsstrukturen so radikal, dass sich die klassischen Begriffe
von Arbeit, Arbeitnehmer und Unternehmer auflösen. Debatten um
Arbeitszeiten, betriebliche Mitbestimmung und den Arbeitsschutz sind
da wichtig. Doch das darf nur der Anfang sein: Es muss jetzt darum
gehen, welche grundlegenden Werte und Normen in der
post-digitalisierten Arbeitswelt gelten sollen, welche Regeln in der
entgrenzten Arbeitswelt die Schwächsten schützen können, ohne dabei
die Starken zu behindern, und wer diese Regeln durchsetzen kann.
Bisher ist Digitalisierung in Deutschland das, was passiert, während
die Beteiligten Strategien suchen, damit umzugehen. Jetzt aber
braucht es auch hier Visionen, wie Unternehmensstrukturen und
Arbeitsbeziehungen grundlegend neu gedacht werden können. Denn sie
sind das Fundament der neuen, digitalen Gesellschaft.
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