Zum Jammern sind derzeit nicht nur jene 
Bürgerkriegsflüchtlinge, die an griechischen oder italienischen 
Küsten stranden, wenn sie denn überhaupt lebend die gefährliche 
Überfahrt über das Mittelmeer in maroden Seelenverkäufern überstanden
haben. Zum Jammern ist auch die bizarre Uneinigkeit, die erst gestern
wieder beim Innenministertreffen der Schengen-Staaten in Luxemburg 
zutage trat. Die Flüchtlingsfrage spaltet Europa. Und dabei geht es 
nicht etwa nur um eine Quote, nach der einige Tausend 
Zufluchtsuchende künftig auf einzelne Ländern verteilt werden sollen,
sondern es geht zuerst um Menschen mit einem ungewissen Schicksal. Es
geht auch um die verbindenden Werte der EU. Statt tätige Solidarität 
mit Menschen in Not zu üben, praktizieren einige EU-Staaten 
unnachgiebige Das-Boot-ist-voll-Politik. Das Gründungsversprechen der
Europäischen Union, ein Hort der Menschenrechte und der 
Barmherzigkeit zu sein, droht unter die Räder zu geraten. Als vor 
fast genau 30 Jahren im kleinen luxemburgischen Moselort Schengen das
erste Abkommen über den Wegfall von Zoll- und Personenkontrollen 
abgeschlossen wurde, hat wohl niemand geahnt, welche Dynamik der 
Schengen-Prozess entwickeln würde. Heute gehören zur europäischen 
Region des grenzenlosen Reisens allein 30 Staaten, nahezu alle 
EU-Staaten, außer Großbritannien, Irland und Zypern, aber auch 
Nicht-Mitglieder der Union. Die durch Schengen errungene 
Freizügigkeit will eigentlich niemand in den Teilnehmerländern 
ernsthaft infrage stellen. Allerdings stößt das Schengen-Konzept 
angesichts der dramatisch angestiegenen Flüchtlingszahlen heute an 
seine Grenzen. Eigentlich sieht Schengen die Verlagerung der 
Personenkontrollen an die Außengrenzen der Gemeinschaft vor. Doch 
diese Grenzen sind löchrig. Italien scheint nicht willens und das 
ohnehin gebeutelte Griechenland nicht in der Lage, die an ihren 
Küsten ankommenden Flüchtlinge vernünftig aufzunehmen. Auch machen 
sich andere Schengen- und EU-Staaten gewissermaßen einen „schlanken 
Fuß“ und überlassen das Riesenproblem den beiden Mittelmeerländern. 
Die aber sind damit hoffnungslos überfordert und versuchen, die 
Ankömmlinge mit allerhand Tricks in andere EU-Länder abzuschieben 
oder eben einfach durchreisen zu lassen, etwa nach Österreich, 
Deutschland, Frankreich. Was sich derzeit an der 
italienisch-französischen Küste mit gestrandeten Flüchtlingen 
abspielt, ist grotesk und menschenunwürdig zugleich. Dabei steht 
außer Frage, dass die EU, Deutschland, Schweden, die die meisten 
Flüchtlingen bei sich aufnehmen, nicht alle Probleme dieser Welt 
lösen, nicht alle Flüchtlinge aus den Krisengebieten aufnehmen 
können. Das verlangt auch gar keiner. Doch einen menschenwürdigen 
Umgang, faire und individuelle Asylverfahren dürfen die Flüchtlinge 
schon erwarten, in Deutschland und den anderen EU-Staaten. Die 
Regierung in Berlin hat eingesehen, dass sie das Problem nicht 
einfach bei Kommunen und Ländern abladen darf. Auf dem 
Flüchtlingsgipfel am Donnerstag im Kanzleramt wird es deshalb 
verbindlich und strukturell größere Hilfen des Bundes geben. Das ist 
gut so. Ähnliches braucht die Flüchtlingspolitik der EU insgesamt. 
Verbindliche Zusagen, eine geregelte Finanzierung sowie 
Integrationsprogramme für die Ankommenden. Und, auch das gehört zur 
Lösung des Problems: Wer ohne wirklich triftigen Grund in der EU, in 
Schengen-Staaten Aufenthalt sucht, etwa aus relativ sicheren Staaten 
Ex-Jugoslawiens, der muss zur Rückkehr in sein Heimatland bewegt 
werden. Schengen allerdings nun erst einmal auszusetzen, wie es 
Markus Söder vorschlug, ist dagegen der untaugliche Versuch, heutige 
Probleme mit den Mitteln der Vergangenheit zu lösen. Dass Söder von 
Horst Seehofer und Bundesinnenminister Thomas de Maiziere 
zurückgepfiffen wurde, war richtig.
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