Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Euro/Wirtschaftsregierung

Die zuletzt massiven Turbulenzen an den
europäischen Märkten haben die Eurozone in die Enge getrieben. Der
Handlungsdruck war so groß, dass Berlin und Paris in die Vollen
griffen. Nichts weniger als eine „eine echte Wirtschaftsregierung“
samt einer „qualitativ neue Phase der Zusammenarbeit in der Eurozone“
versprach Angela Merkel nach ihrem Treffen mit dem französischen
Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Die groß angekündigte Revolution
könnte sich jedoch als Papiertiger erweisen. Denn dass die
Hauptstädte tatsächlich Macht und Kompetenzen an Brüssel abgeben,
darf bezweifelt werden. Woran die Eurozone krankt, ist spätestens
seit Ausbruch der Schuldenkrise klar: Die Mitgliedsstaaten verfügen
zwar über dieselbe Währung, kochen aber in der Wirtschafts- und
Steuerpolitik ihr eigenes Süppchen. Diesen entscheidenden
Konstruktionsfehler der Währungszone wollen Berlin und Paris mit
ihren Vorschlägen zur Wirtschaftsregierung nun ausbügeln. Mindestens
zwei Mal pro Jahr sollen sich die Regierungschefs der Eurozone
treffen und ihr Vorgehen aufeinander abstimmen. Was zunächst gut
klingt, dürfte in Wirklichkeit wenig Schlagkraft haben. Denn Tatsache
ist, dass sich die Staaten bisher vehement dagegen gewehrt haben,
nationale Kompetenzen an Brüssel abzugeben. Dass sich daran in
Zukunft wenig ändern wird, zeigt ein Blick auf den Aufbau der
Institution: eine Wirtschaftsregierung bestehend aus lauter
Regierungschefs. Diese werden mit aller Macht ihre nationalen
Interessen verteidigen. Um den hochgesetzten Ansprüchen gerecht zu
werden, müsste ein unabhängiges Gremium eingesetzt werden, das
tatsächlich die Steuerpolitik abstimmt sowie einen gemeinsamen
Haushalt aufstellt. So notwendig diese Maßnahmen für die Gesundung
der Eurozone wären, so unwahrscheinlich ist ihre Einführung. Dafür
spricht auch die von Merkel und Sarkozy vorgeschlagene Nominierung
Herman Van Rompuys für den Vorsitz der Wirtschaftsregierung. Der
stille Belgier ist Berlin und Paris als Sekretär gerade Recht. Denn
dass eigene Machtansprüche von seiner Seite kaum zu erwarten sind,
haben die vergangenen Monate gezeigt. Als 2009 installierter,
ständiger EU-Ratsvorsitzender verwaltet Van Rompuy in Brüssel den
Willen Merkels und Sarkozys und bemüht sich hinter den Kulissen um
Kompromisse. Gleichzeitig dürfte es mit Aufbau des neuen
Gipfelgremiums zu einer schleichenden Entmachtung der sich aus den
Finanzministern zusammensetzenden Eurogruppe kommen. Das Signal
könnte fataler nicht sein: Merkel und Sarkozy stellen sicher, dass
sie die wichtigsten Akteure in der Euro-Wirtschaftsregierung sind.
Doch es ist nicht nur die Personalie Van Rompuys, die an der
Schlagkräftigkeit des deutsch-französischen Plans zweifeln lässt.
Tatsächlich sind die meisten der genannten Vorschläge schon bekannt
oder zumindest teilweise beschlossen. Das trifft beispielsweise auf
die von Merkel und Sarkozy geforderte Schuldenbremse für alle
Euroländer zu. Sie ist bereits Teil des im März beschlossenen
„Euro-Plus-Pakts“. Dass zudem die Vorschläge von zwei Ländern im
Alleingang vorgelegt worden sind, verlangsamt die Prozesse. Erst wenn
alle Euro-Länder den Plänen zugestimmt haben, erhalten sie
tatsächlich Gültigkeit. Dieser Umstand dürfte Angela Merkel gerade
Recht kommen. Schließlich ist sie in Sachen Wirtschaftsregierung
schon wieder ein Stück zurückgerudert. Bis es also tatsächlich soweit
ist, dass die europäische Wirtschafts-, Steuer- und Haushaltspolitik
von Brüssel aus koordiniert wird, wird noch sehr viel Zeit vergehen.
Merkel hat das Kanzleramt dann vermutlich schon längst räumen müssen.

Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de