Wer nur ein wenig die Entwicklung der fatalen
Ereignisse in Ferguson verfolgt hat, dürfte von dem Spruch der „Grand
Jury“ kaum überrascht sein. Dass der weiße Polizist Darren Wilson
jemals vor einem ordentlichen Gericht für den Tod des 18-jährigen
Michael Brown zur Verantwortung gezogen werden würde, galt nicht nur
wegen der Zusammensetzung der Geschworenen als äußerst
unwahrscheinlich. Selbst wenn mehr Afro-Amerikaner in dieser Jury
gesessen hätten, wäre den Rechtslaien nichts anderes übriggeblieben
als sich bei ihrer Entscheidung an der bestehenden Gesetzeslage zu
orientieren. Wie in den meisten Bundesstaaten der USA liegt die Latte
für den Einsatz tödlicher Gewalt durch Sicherheitskräfte auch in
Missouri denkbar niedrig. Für den Polizeiofficer Wilson reichte es,
der Jury glaubhaft zu versichern, er habe sich in der Situation
bedroht gefühlt. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob Brown
objektiv wirklich eine Gefahr für den Polizisten darstellte oder
nicht. Mit diesem Argument rechtfertigen Amerikas hochgerüstete Cops
nicht nur in Ferguson ihr martialisches Auftreten. Vor allem in den
Ghettos der Innenstädte und den armen Vororten, in denen Schwarze und
Latinos leben, sitzen die Colts locker im Halfter der Sheriffs.
Michael Brown war einer von vier unbewaffneten Schwarzen, die allein
im August in den USA von der Polizei getötet wurden. Im
Jahresdurchschnitt melden lokale Polizeibehörden dem FBI seit 2006 im
Schnitt 96 schwarze Männer, die das gleiche Schicksal teilen. Die
Dunkelziffer dürfte noch weit höher liegen, da keine nationale
Meldepflicht besteht. Eine Gesellschaft, die sonst von Statistiken
regelrecht besessen ist, macht sich nicht die Mühe, wenn es um
mögliche Opfer von Polizeigewalt geht. Nur in den allerseltensten
Fällen kommt es jemals zu einer Anklage. Der Freibrief für Darren
Wilson ist damit nicht die schockierende Ausnahme, sondern der
empörende Regelfall in den USA. Er steht für das Versagen oder besser
gesagt Nicht-Vorhandensein der Zivilgesellschaft an Orten wie
Ferguson. Wenn sich die Schutzbefohlenen vor ihren Ordnungshütern
fürchten, ihnen nicht über den Weg trauen, funktioniert etwas nicht.
Wie die Eskalation der Gewalt umgekehrt die gestörte Seelenlage offen
zutage treten lässt. Der ungesühnte Tod des 18-jährigen Michael Brown
gerät so zum Symbol für eine offene Wunde in der amerikanischen
Gesellschaft, die auch Barack Obama nicht heilen konnte. Zu Recht
mahnt der schwarze Mann im Weißen Haus, die Ruhe zu wahren und hält
das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit hoch. Die Tragik des
US-Präsidenten besteht darin, keine Mehrheit zu haben, die Gesetze
ändern zu können, die Tragödien wie der von Ferguson zugrunde liegen.
So bleibt Obama nicht viel mehr übrig als zu appellieren und zu
hoffen, dass es nicht ausgerechnet während seiner Präsidentschaft zu
den schwersten Rassenunruhen in den USA seit den 80er Jahren kommt.
Nach dem Fanal von Ferguson stehen die Chancen dafür nicht schlecht.
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