Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Griechenland/Euro von Stefan Stark

Je verzweifelter die Situation bei den
Griechen, desto abenteuerlicher werden die Vorschläge, wie man dem
kranken Mann am Peloponnes wieder auf die Beine helfen könnte. Den
Vogel in dieser Hinsicht schoss am Wochenende die Europäische Union
mit dem Vorschlag ab, die deutsche Solarförderung auch an griechische
Unternehmen auszuzahlen, wenn sie Sonnenenergie zu uns liefern.
Deutsche Stromverbraucher sollen also beim Wiederaufbau im klammen
Hellas mit anschieben. Nur gut, dass die Bundesregierung diesen Plan
sofort zurückgewiesen hat. Sonst käme jemand in einem Brüsseler Büro
vielleicht noch auf die Idee, mit den Einnahmen aus der deutschen
Lkw-Maut Vergnügungsreisen auf griechischen Fähren zu
subventionieren. Man mag über die EU-Solar-Schmonzette den Kopf
schütteln. Doch sollte die Verrücktheit von Vorschlägen ein
Gradmesser für den Ernst der Lage in Athen sein, dann muss den
europäischen Steuerzahlern angst und bange werden. Wie schlimm es
wirklich um das größte Euro-Problemkind bestellt ist, machte gestern
das deutsch-französische Rettungstandem unmissverständlich klar. Die
Forderung von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, die griechischen
Staatseinnahmen auf ein Sonderkonto zur Schuldentilgung zu
überweisen, bedeutet ein Misstrauensvotum gegenüber der
Krisenregierung. Denn das, was sie von Griechenland verlangen, kommt
der Lohnpfändung eines privaten Schuldners gleich, dem die Gläubiger
nicht mehr trauen. Berlin und Paris setzen der Regierung von Lucas
Papademos das Messer auf die Brust: Wir übernehmen die Kontrolle über
die Finanzen, weil es sonst nichts wird, lautet die Botschaft.
Gleichzeitig steckt hinter dem Vorstoß Merkozys das Eingeständnis,
dass die bisherigen Reformbemühungen in Athen für die Katz waren. Die
Kunst der Diplomatie besteht darin, politischen Druck aufzubauen,
ohne unerfüllbare Forderungen aufzustellen. Die Mahnungen an
Griechenland sind zweifelsfrei berechtigt. Zwar hat die Regierung es
inzwischen immerhin geschafft, Rentenzahlungen an Tausende Tote zu
stoppen – angesichts des Bürokratie-Filzes durchaus ein Erfolg. Doch
ansonsten sind die meisten Reformen nicht über den Status der
Ankündigung hinausgekommen. Vor allem tut sich das Land nach wie vor
schwer damit, Steuern einzutreiben, die Korruption zu bekämpfen und
Staatseigentum zu privatisieren. Diese Probleme – verbunden mit einer
ineffizienten und unfähigen Verwaltung – zählen zu den Hauptursachen
der griechischen Krankheit, wie die OECD schon Anfang Dezember in
ihrem vernichtenden Befund attestierte. Athen ist ein Patient, der
zwar einen besseren Lebenswandel gelobt hat. Doch eine spontane
Wunderheilung wird es nicht geben – trotz der Milliardensummen, die
schon durch den Euro-Rettungstropf geflossen sind. Das geben Merkel
und Sarkozy jetzt öffentlich zu. Doch das Szenario, das beide
entwerfen, wird in Griechenland nicht als möglicherweise heilsames
Rezept ankommen, sondern als unverhohlene Drohung, die die
Krisenregierung zurückweisen muss. Ansonsten würde sie nicht nur in
der Wahrnehmung der eigenen Bevölkerung, sondern auch faktisch ihrer
Selbstentmündigung zustimmen. Das wäre in etwa so, als ob der
Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit den selbst ernannten
bayerischen Sparkommissar Markus Söder als Treuhänder der
Hauptstadtfinanzen akzeptieren würde. Was soll man von einem
Vorschlag halten, den der andere nur ablehnen kann? Merkozys
Forderung nach einem Schuldenkonto passt nicht zu den bisherigen
Schwüren, Griechenland müsse um jeden Preis im Euroraum gehalten
werden. Sie klingt wie die Bitte an einen unheilbaren Patienten, das
Bett in der Intensivstation für einen anderen freizumachen.

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