Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Milchpreisen: „Fairness-Fragen“

Die Verbraucher jammern, die Politiker jammern
– und die Bauern sowieso, heißt ein altes Sprichwort. Beim Blick auf
die Bauernproteste für mehr Fairness bei der Milchpreisgestaltung mag
manchem dieser Spruch wieder in den Sinn kommen. Erst vor wenigen
Tagen gingen den Verbrauchern beim Einkaufen die Augen auf: Milch und
Milchprodukte wurden deutlich teurer. Bei Butter gab–s den Aha-Effekt
ein paar Wochen früher. Das Wort Fairness fiel in diesem Zusammenhang
nicht, aber die Begründung schien einleuchtend: Weniger Milcherzeuger
erfreuen sich einer starken Nachfrage nach ihren Produkten – gerade
aus dem Ausland. Die Absatz-Alternative spielte den Molkereien in die
Karten, sie konnten die Discounter beim Preispoker ausstechen.
Übergeschwappt sind die Preise dabei nicht nur bei der Milch. Ob bei
Getreide, Gemüse oder Fleisch – die Preistendenzen für die meisten
landwirtschaftlichen Erzeugnisse gehen nach oben. Wozu also ein
Beschwerde-Konvoi nach Brüssel? Den Antrieb für den
600-Kilometer-Trip am Traktor liefert ein kurzer Blick zurück auf die
erste Jahreshälfte. Bis zum Sommer war der Milchpreis den Erzeugern
buchstäblich durch die Finger geflossen. Vor rund einem Jahr war das
laut Bundesregierung „vielseitigste Nahrungsmittel der Welt“ mit rund
35 Cent je Liter endlich wieder so viel Wert wie 2008, schon sorgte
ein Überangebot dafür, dass die Lebensmittler die Preise wieder
drücken konnten – im Juli machte der Liter Milch nur mehr 29 Cent je
Liter. Aktuell liegt der Erlös bei rund 33 Cent im Schnitt. Wegen
teurer Energie und Futtermittel bräuchte ein Landwirt aber 40 Cent,
um über die Runden zu kommen, sagt zumindest der Verband, der die
Proteste organisiert. Schweinezyklus nennen Marktbeobachter dieses
Auf und Ab der Preise. Diesen Zyklus wollen die Erzeuger
unterbrechen, indem sie die gesellschaftliche und moralische
Verantwortung für die eigene Ernährung mit ins Spiel bringen. Sicher
gibt es dafür gute Argumente: Hochwertige Milch, die von zumindest
einigermaßen glücklichen Kühen produziert wird, die nicht in tausende
Kilometer entfernten Ställen stehen – wer würde dieses Heidi-Idyll
nicht unterstützen? Soweit die Theorie – in der Praxis, am Kühlregal,
sieht es mit der Moral erfahrungsgemäß jedoch anders aus. Dann ist
die Kostenstruktur von Landwirten den meisten piepegal. „Faire
Preise“? Gekauft wird aus Eigennutz, und zwar, was „den Preis wert“
und nicht morgen schon wieder billiger ist. Auch von Seiten der EU
brauchen die Bauern kaum auf Rückendeckung hoffen. Dort wird mehr
Marktwirtschaft gepriesen. In gut zwei Jahren soll die „Milchquote“
fallen, die das Angebot nach oben deckeln und so Preisausschläge
dämpfen soll. Inmitten der Euro-Krise sind die Brüsseler Beamten von
mehr Milchgeld nicht begeistert, noch dazu, wenn ihnen die
Regierungschefs wegen der Kosten für Europa ohnehin im Nacken sitzen.
Solange bei Kunden und Kommission kein Umdenken einsetzt, sind die
Erzeuger auf sich selbst gestellt, wenn sie Veränderungen erzielen
wollen. Nur sie können den Schweinezyklus durchbrechen, dass auf
Teufel komm raus produziert wird, wenn die Preise hoch, die Nachfrage
damit aber absehbar fallend ist. Das ist zugegeben schwierig, wenn
man sich innerhalb der Zunft uneins ist und die Verbände
unterschiedliche Strategien fahren. Es ändert aber nichts an der
letztlichen Konsequenz: Auch Milcherzeuger werden sich dem Markt
stellen und die Qualität ihrer Arbeit für sich und die Gesellschaft
hervorheben müssen, etwa mit einer eigenen Marke. Als Vorbild könnte
eine Organisation dienen, die die von Bauern geforderte Fairness
schon im Namen trägt: Fairtrade. „Sich und der Natur Gutes tun“, wird
hier geworben. Der Slogan würde schon mal passen. Autor: Roman
Hiendlmaier

Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Weitere Informationen unter:
http://