Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Rumänien: Langsam, aber auf Kurs Von Norbert Mappes-Niediek, MZ

Rumäniens Weg nach dem Zusammenbruch des
Ostblocks ist besser als sein Ruf.

Ob dieses Land Bestand haben könne, sei „sehr fraglich“, schrieb
1990 ein bekannter Balkanexperte über Rumänien. Er war nicht der
Einzige, der so dachte. Gute Argumente hatte er auch. Nirgendwo im
Ostblock war das soziale Elend so groß, die Überwachung so total,
nirgends ging die Macht so perfide und am Ende so brutal vor. Auch
nach dem Sieg der Revolution mochte sich kein Optimismus einstellen.
Marodierende Bergarbeiter fielen in Bukarest ein und verprügelten
Oppositionelle, in Transsilvanien kam es zu Übergriffen auf die
ungarische Minderheit. Um dem Land ein ähnliches Schicksal wie dem
gerade zerfallenden Nachbarland Jugoslawien vorherzusagen, brauchte
es nicht viel Phantasie. Aber die Katastrophe blieb aus. Ein
Vierteljahrhundert nach der Revolution ist Rumänien zwar kein
Schlaraffen- und auch kein demokratisches Musterland, aber es ist
Mitglied der Europäischen Union und der Nato, und die Zeichen stehen
auf weitere – und raschere – Genesung. Dass die Zeitungen täglich von
einer gigantischen Korruption der politischen Klasse berichten, ist
bei näherem Hinsehen ein gutes Zeichen: Anders als im Nachbarland
Bulgarien wird das byzantinische Erbübel wenigstens bekämpft. In der
Zwischenkriegszeit hat der Verdruss über die Korruption eine
faschistische Bewegung befeuert. Heute stärkt er dagegen den – noch
immer zu wenigen – mutigen Staatsanwälten und Richtern den Rücken.
Zwar ist Rumänien auch heute noch nicht frei von nationalistischen
Aufwallungen. Aber extremistische Parteien haben, anders als beim
Nachbarn Ungarn, keine Chance. Ein gelassenes Urteil über Rumänien
ist in Europa und im Lande selbst nur selten zu hören. In den 90er
Jahren galt es als Heimat des „Postkommunismus“ – ein schillernder
Begriff mit wenig Inhalt. Tatsache ist, dass es in Rumänien lange
keine Abrechnung mit der Elite der Ceaucescu-Diktatur gab. Präsident
Ion Iliescu hatte sich entschieden, den neuen Weg mit den alten
Leuten zu gehen. Es war eine lange, zähe, uninspirierte Schweigezeit,
wie sie Deutschland in der Adenauer-Ära durchgemacht hat. Aber
Iliescu hielt sein Land immerhin fest auf Westkurs, anders als die
Neokommunisten im Bulgarien des Jean Widenow. Man kann sich zu
Iliescus Weg zwar Alternativen vorstellen. Es sind aber auch etliche
ungemütliche darunter. Zwischen 3,6 und 4,5 Millionen Rumänen waren
KP-Mitglieder gewesen: Die Zahlen differieren, umfassen aber in jedem
Fall fast die gesamte beruflich aktive Generation. Eine bürgerliche
Dissidentenszene gab es nicht, auch keine christlich-evangelische
Parallelwelt. Wer sich eine Vorstellung davon machen will, wie
zerstört diese Gesellschaft war und noch ist, kann sich in der
modernen Belletristik des Landes umtun. Dass schon Demokratie
herrschen würde, wenn erst der Diktator weg wäre, hat man in Rumänien
aus gutem Grund nicht geglaubt. Auf die lange Adenauer-Ära folgte in
Deutschland, nach zwei Übergangskanzlern, ein Willy Brandt, der „mehr
Demokratie wagen“ wollte. In Rumänien dagegen folgte ein Traian
Basescu, der mit mehr Demokratie am wenigsten im Sinn hatte. Das aus
den 90er Jahren stammende System der Lokalfürsten hat Basescu nicht
abgeschafft, sondern kopiert. Zeitweise sah es so aus, als hätte
Rumäniens Elite das machtpolitische Perpetuum mobile erfunden: Auf
der Bühne Scheinkämpfe austragen, hinter den Kulissen einträchtig die
Beute verteilen. Aber auch dieses letzte Schreckensszenario ging
nicht in Erfüllung. Keiner war so mächtig zu verhindern, dass
Richter, Polizisten, Staatsanwälte, Fachleute aus der Wirtschaft ihre
Funktion irgendwann beim Wort nahmen. Letzten Endes haben sie einem
Gesetz wieder Geltung verschafft, das man schon für widerlegt
gehalten hatte: Dass Regierende eben doch abgewählt werden, wenn sie
nichts taugen.

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