Pünktlich zum Weltfrauentag verbreitet sich
eine Meldung der New York Times in den sozialen Netzwerken: In den
USA, so haben die Unternehmensberater von Ernst & Young
herausgefunden, sitzen mehr Männer mit dem Vornamen John in den
Führungsetagen der großen Unternehmen als Frauen insgesamt. Nun mag
nicht jede Frau Lust darauf haben, ein Unternehmen zu leiten, ebenso,
wie es vielleicht auch Männer gibt, die sich schöneres vorstellen
können, als ihre Tage mit Krabbelgruppen und Pausenbrotschmieren zu
verbringen. Die Tatsache, dass diese Meldung aber überhaupt eine
Nachricht ist, ist ein Indiz dafür, dass es in unserer Gesellschaft
zumindest offiziell inzwischen einen breiten Konsens darüber gibt,
dass jeder Mann und jede Frau das tun können sollte, was ihm oder ihr
liegt und was er oder sie gerne tut. Das klingt wie eine banale
Selbstverständlichkeit. Und ist doch erst seit wenigen Jahrzehnten
denkbar. Als der Internationale Frauentag 1911 erstmals begangen
wurde, da durften Frauen nicht wählen und nicht selbstbestimmt
arbeiten. Vergewaltigung in der Ehe war nicht strafbar, Abtreibung
schon. „Keine Sonderrechte, sondern Menschenrechte“, forderte die
Initiatorin Clara Zetkin damals. Und erkämpfte in Deutschland das
Frauenwahlrecht. Ins Grundgesetz fanden fast 40 Jahre später schon
die Worte „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ ihren Weg, später
erreichte die Frauenbewegung das Recht auf Bildung,
Arbeitsschutzgesetze, das Recht auf legalen Schwangerschaftsabbruch.
Man mag die heutigen Debatten um Frauenquoten und gegenderte Sprache
ermüdend, manchmal auch lächerlich finden, aber: Sie sind die
Fortführung eines Diskurses, der unsere Gesellschaft im vergangenen
Jahrhundert weitergebracht hat – zum Vorteil aller. Und das auch
deswegen, weil er uns zur ständigen Reflexion darüber zwingt, wer wir
sind und in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Dabei gibt es
viele, die die Frauenbewegung heute für überholt halten. Und sich
stattdessen eine umfassendere Gleichstellungsbewegung wünschen, die
sich nicht nur für die Belange von Frauen, sondern auch für die von
Männern, Behinderten, von Migranten, von Homo- und Transsexuellen
einsetzt. Das ist richtig, denn trotz aller Fortschritte fehlt es
noch immer an einer Vision, wie unsere Gesellschaft größtmögliche
Individualität ermöglichen und dabei vorurteilslose
Gleichberechtigung trotz biologischer, ethnischer und religiöser
Unterschiede verwirklichen kann. Für alle, nicht nur für Frauen.
Trotzdem ist und bleibt der Weltfrauentag ein wichtiger Tag. Denn
neben der Besinnung auf bei uns noch zu bewältigenden Probleme ist er
vor allem auch ein Tag, der den Blick auf internationale
Herausforderungen lenkt. Darauf, dass strukturelle,
geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen omnipräsent ist, dass
Frauen noch längst nicht überall Menschenrechte zuerkannt werden.
Dabei ist Gleichberechtigung kein Zeichen zivilisatorischer Reife:
Zahlreiche Urvölker, deren Zusammenleben matriarchalisch oder
vollkommen gleichberechtigt organisiert war oder ist, beweisen das
Gegenteil. Sie lassen Grausamkeiten wie die Zwangsbeschneidung von
Mädchen, arrangierte Hochzeiten von Minderjährigen und die Tötung
weiblicher Neugeborener erst recht barbarisch wirken. Solange ein
Minister in einer zivilisierten Gesellschaft wie der indischen
öffentlich die Vergewaltigung von Frauen als „manchmal richtig“
deklariert, so lange der türkische Präsident die Gleichstellung von
Mann und Frau als „gegen die Natur“ bezeichnet, so lange bleibt es
eine traurige Tatsache, dass Frauen eben anders als Männer ihre
Rechte erst noch erkämpfen müssen. Dass es immer noch eine Trennung
zwischen Frauen und den Johns in den Führungsetagen gibt, ist dabei
nur ein kleiner Teil des Problems.
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