Die Kanzlerin lässt sich vor den Karren der
deutschen Autohersteller spannen. Die Folgen sind gefährlich.
Den Gesetzgebungsprozess für die Klimaauflagen wird man in Brüssel
nicht so schnell wieder vergessen. Tatsächlich dürfte das, was
letztes Jahr im Juni vorgefallen ist, einmalig sein in der EU: Ein
Regierungschef, oder vielmehr eine Regierungschefin, interveniert
persönlich, um ein unliebsames Vorhaben in Brüssel aufzuweichen und
zu verzögern. Schon sehen Experten darin einen neuen Trend: Lobbying
wird in der EU immer aggressiver. Unschuldig sind die
EU-Institutionen daran nicht. Ein verpflichtendes Lobbyregister lässt
weiter auf sich warten. Den europäischen Autobauern hat die Kanzlerin
mit ihrem Vorstoß keinen Gefallen getan. Rund 20 000 Lobbyisten
tummeln sich in der EU-Hauptstadt. Wie geschäftig diese zu Werk
gehen, hat sich in den letzten Monaten gezeigt: Die Vorfälle von
wirtschaftlicher Einflussnahme haben unübersehbar zugenommen. So
wurde zuerst die Tabakrichtlinie verwässert, dann schob man die
Neufassung der Datenschutzverordnung vor sich her. Bei den
CO2-Grenzwerten für Neuwagen wurde durch die Einmischung der
Bundesregierung eine neue Dimension erreicht. Zwar konnte das
Europaparlament noch nachbessern und das Schlimmste verhindern.
Dennoch bleiben die nun verabschiedeten laschen Vorschriften hinter
den Erwartungen zurück. Daimler und Co. können sich die Hände reiben.
Die Verwässerung der Abgasnormen wirft die EU in ihren Bemühungen um
den Klimaschutz zurück. Genauso wird sich die Entwicklung neuer
sparsamer Technologien durch den Lobbyeinsatz der deutschen
Hersteller verlangsamen. Im internationalen Wettbewerb kann dies den
europäischen Autokonzernen nur schaden. Sicherlich, es muss Konzernen
erlaubt sein, sich in einer demokratischen Gesellschaft an der
Gesetzgebung zu beteiligen. Doch wie dies in Brüssel geschieht, ist
zunehmend inakzeptabel. Die pure Macht der Lobby-Front von
Unternehmen zeigt nicht nur, dass die Zivilgesellschaft in Brüssel
unterrepräsentiert ist. Sie zeigt auch, dass das bestehende,
freiwillige Transparenz-Register nicht funktioniert. Zu viel bleibt
noch immer im Dunkeln und führt dazu, dass Lobbyismus als schmutziges
Geschäft wahrgenommen wird. Dabei müsste es eigentlich
selbstverständlich sein: Europas Bürger haben ein Recht darauf zu
erfahren, wer mit welchem Budget und in wessen Auftrag versucht,
Einfluss auf welche EU-Politiken zu nehmen. Dies kann nur über ein
verpflichtendes Register geleistet werden. Natürlich hat auch ein
Pflicht-Register seine Grenzen: Nämlich dann, wenn sich ein
Regierungschef vor den Karren einer Branche spannen lässt und
persönlich interveniert. Die Folgen sind gefährlich: Wenn ein paar
Anrufe der Bundeskanzlerin genügen, um einen zwischen der
Ratspräsidentschaft und dem Parlament geschlossenen Kompromiss zu
Fall zu bringen, wird das gesamte Gesetzgebungsverfahren zur Farce.
Für die anstehenden Europawahlen Ende Mai ist dies kein gutes
Zeichen. Mangelnde Transparenz ist in der EU nach wie vor ein
Problem. Wichtige Politikbeschlüsse oder Personalentscheidungen sind
oft das Ergebnis von Hinterzimmer-Deals. Das trägt dazu bei, dass
Brüssel in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend als
undurchsichtiger Moloch wahrgenommen wird, in dem Bürokraten und
Konzerne miteinander kungeln. Rechtspopulisten und EU-Hassern wird so
unnötig Vorschub geleistet. Eigentlich wissen es die etablierten
Parteien längst: Europa muss seine Bürger mitnehmen. Die unrühmliche
Lobbyschlacht um die CO2-Grenzwerte für Neuwagen hat deutlich
gemacht, dass sie trotzdem immer wieder entgegen dieser Maxime
handeln.
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