Die Einigung im griechischen Schuldenstreit
zeigt: Eine Debatte um das Wirtschaftsmodell darf es nicht geben.
Unter dem Hashtag #ThisIsACoup (deutsch: Dies ist ein
Staatsstreich) haben nach der Einigung im Streit um die griechischen
Schulden Hunderttausende Nutzer des Kurznachrichtendiensts Twitter
weltweit die Bevormundung der Regierung in Athen durch die
Institutionen kritisiert. In der Tat liest sich das
Abschlussstatement nach dem nächtlichen Gipfel wie eine Entmachtung
der demokratischen Strukturen in Griechenland. Es zeigt, dass es in
der Welt von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer
Union keine Alternative zum bestehenden Wirtschaftsmodell geben darf.
Die Maßnahmenliste liest sich wie ein IWF-Programm aus den 60ern:
Privatisierung, Kürzung der staatlichen Ausgaben – sprich
Sozialausgaben -, und eine „rigorose Überprüfung“ von Tarifverträgen
und Bestimmungen zum Kündigungsschutz. Es ist nicht ausgeschlossen,
dass Griechenland mit diesen Maßnahmen nach und nach die Liste der
Indikatoren abhaken kann, die als Zeichen für eine funktionierende
Volkswirtschaft gelten. Ob es den Griechen deswegen in einigen Jahren
besser geht, ist in diesem Modell zweitrangig. Wahrscheinlich ist,
wenn man sich die Bilanz der IWF-Politik in Asien, Afrika oder
Lateinamerika anschaut, eine auf Jahrzehnte zementierte Abhängigkeit
von den Geldgebern. Während andernorts schon wieder gezweifelt wird,
ob es so klug war, Güter der Daseinsvorsorge zu privatisieren, können
Investoren aus aller Welt auf der Website des Griechischen
Treuhandfonds HRADF wählen zwischen griechischen Stränden, Inseln,
dem Flughafen Athens, Athens Wasserversorgung, der griechischen Post,
Autobahnen, Häfen, der staatlichen Stromgesellschaft, und so weiter.
Neben der öffentlichkeitswirksamen Twitter-Empörung gibt es natürlich
nach wie vor andere Stimmen, die „Keinen Cent mehr“ (Magazin Focus)
für die Griechen ausgeben wollen – und es schwingt immer der Vorwurf
der Faulheit, der Nehmermentalität mit. 216 Milliarden Euro
Hilfskredite hat Griechenland seit 2010 bekommen, jetzt sollen noch
mal bis zu 86 Milliarden hinzukommen. 300 Milliarden Euro sind eine
Menge Geld – und zufällig die gleiche Summe, die Großbritannien zur
Rettung seiner Banken zwischen 2008 und 2011 in Anspruch genommen
hat, in Deutschland waren es 259 Milliarden Euro. Insgesamt wurden
von den fünf Billionen Euro, die für die Bankenrettung bereitstanden,
1,6 Billionen – ja, das sind 1600 Milliarden – in Anspruch genommen.
Wie viel davon am Ende Steuerzahler zahlen, bleibt unklar. Doch in
der EU geht es schließlich um Solidarität. Solidarität, die auch
Deutschland erfahren hat, als das Land vor der Finanzkrise jahrelang
die Neuverschuldungs-Defizit-Vorgaben der Union nicht einhalten
konnte – straffrei, ohne IWF-Aufpasser, bis schließlich die Regeln
aufgeweicht wurden. Aufgeweicht wird auf britischen Wunsch wohl
demnächst auch wieder die Bankenunion, die Steuersparer bei
Bankeninsolvenzen entlasten soll. Es kommt also darauf an, wer Regeln
bricht oder Kredite haben möchte. Eine linke griechische Regierung
hat weder von der EU-Kommission noch vom IWF viel zu erwarten. Das
Verhandlungsergebnis funktioniert auch als Abschreckung für
Portugiesen und Spanier, sich gegen die IWF-Auflagen vielleicht doch
wehren zu wollen. Für Athen bedeutet die Abmachung Schuldenspirale
statt Schuldenschnitt – und für Deutschland Zinseinnahmen aus den
Krediten: 360 Millionen Euro waren es in den Jahren 2010 bis 2014.
Die Alternative für Athen? Stand bei einer früheren Version des
Abschlussdokuments ganz unten, nur ein Satz: „Kommt es zu keiner
Einigung, sollten Griechenland Verhandlungen zu einem temporären
Euro-Austritt angeboten werden, mit möglicher Umschuldung.“ Das
griechische Parlament darf also doch entscheiden: Souveränität oder
Euro.
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