Vordergründig hat die Wut der Schwarzen in 
Ferguson über den ungesühnten Tod des 18-jährigen Michael Brown nur 
wenig zu tun mit dem Aufruhr der „Tea Party“-Populisten gegen den 
Alleingang von Präsident Obama bei der Einwanderung. Wer ein bisschen
tiefer gräbt, stößt aber schnell auf eine gemeinsame Wurzel des 
Unbehagens: Misstrauen in die Institutionen der Demokratie, verbunden
mit einer tiefen Unzufriedenheit über die politischen Führer, die es 
nicht schaffen, sich aus der Selbstblockade zu befreien. Die Proteste
der vergangenen Tage kehren Amerikas Seelenlage nach außen: Schwarz 
gegen Weiß. Reich gegen Arm. Nord gegen Süd. Stadt gegen Land. 
Republikaner gegen Demokraten. Die Verwerfungen in der einst für 
ihren notorischen Optimismus bekannten Nation brechen in ungewohnter 
Heftigkeit aus. Kompromissfähigkeit in dem auf Konsens angelegten 
System der Selbstregierung ist Mangelware geworden. Stattdessen 
stehen alle Zeichen auf Konfrontation. In Ferguson drückte die sich 
in roher Gewalt aus. Mit brennenden Häusern und Straßenschlachten 
zwischen krawallbereiten Randalierern und hochgerüsteten 
Sicherheitskräften. Subtiler, aber nicht minder folgenreich erwies 
sich die kalte Logik des Staatsanwalts von St. Louis, der den 
Todesschützen des jungen Schwarzen trickreich weißwusch. Der 
resultierende Freispruch verstärkte den ohnehin vorhandenen Verdacht 
in den Armenvierteln Amerikas, dass Recht und Gerechtigkeit wenig 
miteinander zu tun haben. Das Leben dunkelhäutiger Männer wird in der
Polizeipraxis bis heute als Kollateralschaden hingenommen. Wenn es, 
wie in einem öffentlichen Park in Cleveland, ein Kind trifft, gibt es
bei den verantwortlichen nicht viel mehr als ein Schulterzucken. Der 
Colt der Sheriffs sitzt locker. Von 410 beim FBI gemeldeten 
Todesschüssen der Polizei kam es 2012 nicht in einem Fall zu einer 
gerichtlichen Überprüfung. Weil die Bewohner besser situierter 
Nachbarschaften diese Erfahrung nicht teilen, fällt es ihnen schwer, 
das Misstrauen in anderen Teilen der Bevölkerung nachzuvollziehen. 
Der Preis dieser Segmentierung ist Unverständnis. Dieses 
Auseinanderbrechen der Lebenswelten in Amerika reflektiert sich in 
der politischen Frontstellung Washingtons. Zum Beispiel auch bei der 
Einwanderung. Weil der Präsident bis zu fünf Millionen Einwanderer 
ohne Papiere im Alleingang vor der Abschiebung schützt, erklärt ihm 
die neue republikanische Mehrheit im Kongress den Krieg. Statt über 
ein Gesetzespaket zur Reform der Einwanderung abstimmen zu lassen, 
das leicht eine Mehrheit fände, denken die neuen Herren auf dem 
Capitol Hill über Schikanen nach. Von aussichtslosen Prozessen bis 
hin zu dem Versuch, der Regierung den Geldhahn abzudrehen. Was fehlt,
sind politische Führer, die den Mut und die Kraft haben, sich über 
einflussreiche Lobbygruppen hinwegzusetzen, die 
Kompromissbereitschaft mit politischem Liebesentzug abstrafen. Dass 
sich die von niemandem gewählten Interessensvertreter in einer so 
starken Position finden, hat das Land dem Verfassungsgericht zu 
verdanken, das die Schleusen für verdeckte Großspenden in 
unbegrenzter Höhe geöffnet hat. Die inneren Verwerfungen in den USA 
werden sich mit schönen Worten allein nicht überwinden lassen. Das 
geht nur über den Nachweis der Handlungsfähigkeit der Politik. Es 
sieht wenig danach aus, solange die gleichen Phänomene so 
entgegengesetzt wahrgenommen und interpretiert werden. Das Ergebnis 
ist eine nachhaltige Führungskrise, die aus den Vereinigten die 
Uneinigen Staaten von Amerika macht.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion 
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de