Darf Bern den Zuzug von EU-Bürgern weiter 
einschränken oder nicht? Es ist nicht das erste Mal, dass Brüssel und
die Schweiz über dieselbe Frage streiten. Doch dieses Mal hat 
Helvetia den Bogen überspannt. Es muss klar sein: Es gibt keine 
Freiheit des Waren-und Kapitalverkehrs ohne Freiheit des 
Personenverkehrs. Wenn die Eidgenossen auf Quoten für Menschen aus 
der EU bestehen, muss es auch Quoten auf Geschäfte von Schweizer 
Firmen im EU-Binnenmarkt geben. Damit wird einmal mehr deutlich, dass
Bern und Brüssel dringend ein neues Fundament für ihre Beziehungen 
brauchen. Es war ein Sieg der Angst, irrational, und genau deshalb so
gefährlich. Denn dass ausgerechnet die reiche Schweiz, deren 
Wohlstand auch auf dem Zuzug gut ausgebildeter EU-Fachkräfte beruht, 
nun die Schotten dicht macht, gibt den rechtspopulistischen Parteien 
in Europa Auftrieb. Schon fordern die Euro-Hasser von der AfD ein 
ähnliches Modell zum Immigrationsstopp in Deutschland. Für die 
anstehenden Europawahlen lässt das nichts Gutes erahnen. 
Nichtsdestotrotz muss das Schweizer Votum für die etablierten 
Parteien auch ein Weckruf sein. Sie müssen der Zukunftsangst, die im 
Referendum zum Ausdruck kommt und wie sie auch in vielen EU-Staaten 
vorherrscht, entschieden entgegentreten. In diesem Sinne täte die EU 
gut daran, ihren Bürgern zu erklären, dass die Personenfreizügigkeit 
zum Wohlstand aller Europäer beiträgt. Letztendlich hat sich die 
Schweiz mit dem Votum also ins eigene Fleisch geschnitten. Auch wenn 
die Verärgerung in Brüssel verständlich ist, schließlich rührt das 
Referendum am Herzstück der EU, sollte man besser kühlen Kopf 
bewahren. So fehlten lediglich rund 20 000 Stimmen, um die Initiative
zu Fall zu bringen. Und selbst die Schweizer Regierung war von Anfang
an gegen den Zuwanderungsstopp. Sie muss nun die Angsthetze der 
Schweizer Rechtspopulisten ausbaden und steht vor einer schwierigen 
Aufgabe. Einerseits muss sie das Referendum respektieren und 
andererseits darf sie die Verträge mit der EU nicht verletzen. 
Drohgebärden aus den Mitgliedsstaaten und dem Europaparlament sind 
dabei wenig hilfreich. Darüber hinaus hat der Ausgang der Abstimmung 
auch gezeigt, dass die Schweiz ihr Verhältnis zur EU klären muss. 
Dafür braucht es nichts weniger als eine neue gesetzliche Grundlage. 
Denn bisher jagt ein bilateraler Vertrag den nächsten. Die 
Beziehungen zwischen Brüssel und Bern sind aufgrund der vielen 
Extra-Absprachen immer komplizierter geworden. Die Folgen, nämlich 
juristische Unsicherheit für Behörden, Unternehmen und Bürger, sind 
in der Vergangenheit immer wieder beklagt worden. Abhilfe war lange 
Zeit nicht in Sicht. Zwar hatte die EU bereits vor Jahren klar 
gestellt, dass sie von der Verhandlung individueller Verträge 
wegkommen wolle und einen gesetzlichen Gesamtrahmen mit der Schweiz 
anstrebe. Doch bisher wollte Bern davon nichts wissen. Und so müssen 
beide Parteien wie im aktuellen Fall erneut einen hässlichen Kampf um
juristische Feinheiten ausfechten. Das Votum macht die Dringlichkeit 
für ein neues Fundament deutlich. Dabei zeigt das Beispiel Norwegens,
dass es anders geht. Das Nicht-EU-Land ist Mitglied des Europäischen 
Wirtschaftsraumes (EWR) und verfügt damit über jenen juristischen 
Rahmenvertrag, den Brüssel auch mit Bern haben könnte. Beiden Seiten 
bleiben nun drei Jahre Zeit, um zu einer neuen Einigung zu kommen. 
Dann erst muss das Referendum in ein Gesetz gegossen sein. Es liegt 
nun an der Schweiz ein erstes Angebot zu unterbreiten. Die EU kann 
bei dem Poker nur gewinnen.
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