Die Tragödie des Flugs MH 370 wirft Fragen auf,
die sich eigentlich nicht mehr stellen sollten.
Als am 11. September 2001 die Zwillingstürme des World Trade
Centers einstürzten, war das eine Zeitenwende. Es war der
Anfangspunkt einer Kontrollwut der Geheimdienste, der nackte Angst
zugrunde lag – Angst davor, nicht zu wissen, welche Terrorgruppen was
planten, Angst, zu spät zu kommen. Um diese Angst zu besiegen, waren
die westlichen Staaten, allen voran die USA, bereit, alles zu opfern.
Wie weit das geführt hat, wissen wir seit den Snowden-Enthüllungen.
Wie wenig aber die ganze Sicherheitsparanoia hilft, zeigt sich daran,
dass es am Wochenende zwei Männern offenbar gelang, völlig
unbehelligt mit gestohlenen Reisepässen an Bord eines Flugzeugs zu
kommen. Noch ist nicht klar, was genau mit dem Flug Nummer MH 370
geschehen ist. Ob es sich um einen tragischen Unfall handelt, um
menschliches Versagen im Cockpit, um technische Probleme – oder eben
doch um einen Terrorakt oder eine Entführung. Und selbst wenn es ein
Verbrechen war, ist noch lange nicht gesagt, dass die beiden
Personen, die mit den gestohlenen Papieren reisten, etwas mit dem
Anschlag zu tun gehabt haben. Diese Fragen werden vielleicht auch nie
geklärt werden. Eine grundlegende aber muss schleunigst beantwortet
werden: Warum kann heute noch irgendwo auf der Welt ein Mensch in ein
Flugzeug kommen, dessen Gesicht eindeutig nicht das auf dem Passfoto
ist? Und warum wird der Ausweis eines wenige Monate alten Kindes am
Flughafen durch ein System geschickt, wenn am anderen Ende der Welt
auf einem großen internationalen Flughafen die Kontrolleure es nicht
einmal für nötig halten, die vorgelegten Dokumente mit einer
Datenbank abzugleichen, in der gestohlen gemeldete Pässe registriert
sind? Nicht einmal am 11. September reisten die Attentäter mit
falschen Identitäten. Weil das Risiko zu hoch ist, aufgrund dessen
entdeckt zu werden. Noch dazu in Zeiten der biometrischen Passbilder.
Und selbst wenn die Ähnlichkeit groß ist: Es bleiben Unterschiede,
die zumindest zu einer intensiveren Prüfung vor dem Boarding führen
müssen. Warum also diese vielleicht fatale Panne geschah, muss
unbedingt geklärt werden, weil durch sie alle anderen
Sicherheitsmaßnahmen, die Flugreisende auf aller Welt seit 2001
erdulden müssen, ad absurdum geführt werden. Auf der anderen Seite
aber zeigt dieser Fall auch, wie fragil unser Wunsch nach Sicherheit
und totaler Kontrolle ist. Ein menschlicher Fehler kann auf dem Flug
MH 370 vielleicht dazu geführt haben, dass hunderte Menschen ihr
Leben verloren. Was alles kann noch geschehen, wenn an anderer Stelle
ein Mensch Fehler macht? Oder, andersherum: Was alles kann geschehen,
wenn alle glauben, alles richtig zu machen, aber den Falschen
erwischen? Das gilt überall, in allen Bereichen. Wie viele Tote gehen
auf das Konto des vermeintlich „sauberen“ Drohnenkriegs der USA im
Grenzegebiet zwischen Afghanistan und Pakistan, die gar keine
Terroristen waren? Wie viele Namen landeten auf irgendwelchen Listen,
nur weil jemand einen Fehler machte oder einfach nicht genau genug
hinsah? Murat Kurnaz ist der bekannteste Name, aber er ist nur einer
von vielen. Am heutigen Dienstag sind es zehn Jahre, als Terroristen
Bomben in Madrider Pendlerzügen zündeten und 191 Menschen dafür mit
ihrem Leben bezahlten, dass Polizei und Geheimdienste eben nicht
genau hinsahen und nicht miteinander redeten. Es sind derartige
Katastrophen, die klar gemacht haben, warum eine vernetzte
Sicherheitsarchitektur Sinn macht. Aber am Ende ist es immer nur eine
gefühlte Sicherheit, in der wir leben. Und eine sehr zerbrechliche
dazu.
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