Von Wolfgang Ziegler
Der Papst ist nicht Gott, sondern Mensch – wenngleich er als
Stellvertreter Christi gilt. Den teilweise völlig konträren
Erwartungshaltungen, die vor seiner Visite in Kuba von allen Seiten
definiert worden waren, konnte Benedikt XVI. deshalb gar nicht
gerecht werden. Da hatte sich die Castro-Regierung von seinem
Aufenthalt eine Aufwertung und eine Anerkennung versprochen – auch
dafür, dass die Religionsfreiheit im Land seit dem Besuch von Papst
Johannes Paul II. vor 14 Jahren weitgehend umgesetzt wurde. Die
Opposition indes hatte sich Unterstützung in ihrem Streben nach
politischen Reformen erhofft. Die Katholiken auf der größten
Karibik-Insel hatten sich eine stärkere Verankerung in der
kommunistisch geprägten Gesellschaft gewünscht. Und alle Kubaner
hatten deutliche Worte gegen die absurde US-amerikanische
Wirtschaftsblockade erwartet. All diese Wünsche hätte nicht einmal
der begnadetste Diplomat erfüllen können. Und dennoch hat Benedikt
XVI. den politischen Drahtseilakt, der sein Besuch war, mit Bravour
gemeistert. Er hat gezeigt, dass es durchaus möglich ist, ohne
plakative Parolen zu predigen. Mit gefalteter Hand statt erhobener
Faust hat er – zwar verklausuliert, aber deutlich genug – seine
Meinung über die Ideologie des Marxismus und die Zukunft des Landes
ebenso zum Ausdruck gebracht, wie er letztlich den Kubanern aus dem
Herzen gesprochen hat, als er kurz vor seiner Abreise die
wirtschaftlichen Strafmaßnahmen der Vereinigten Staaten als „unfaire
Belastung für die Bevölkerung“ geißelte. Was aber viel wichtiger ist:
Der Papst hat der katholischen Kirche in Kuba damit ihre Rolle als
Brückenbauer bewahrt. Johannes Paul II. hatte diesen Prozess bei
seinem Besuch 1998 eingeleitet, Benedikt XVI. ist seinen Weg
konsequent weitergegangen. Zu Recht: Denn inzwischen leben
Katholizismus und Kommunismus in Kuba in einer Art friedlicher
Koexistenz, ist die Kirche unter Führung von Kardinal Jaime Ortega y
Alamino neben der kommunistischen Partei zu einer zweiten,
wahrnehmbaren Größe im Lande geworden, der man zwar vorwirft, nicht
mehr zu sein als eine wohlwollende Kritikerin, die aber sehr wohl
über Einfluss verfügt. Die Haftentlassung von 130 Dissidenten und
ihre Ausreise nach Spanien im vergangenen Jahr, die auf einer Reihe
von Gesprächen zwischen Ortega und Staatschef Raúl Castro beruhten,
sind beredte Beispiele dafür. Auch vom Besuch Benedikts XVI. wird in
Kuba mehr bleiben als ein – möglicherweise – arbeitsfreier
Karfreitag. Vielleicht nicht morgen, aber unter Umständen schon
übermorgen wird die katholische Kirche noch mehr in die Ratgeberrolle
für die kommunistische Regierung schlüpfen können – die übrigens von
sich selbst sagt, bei ihrem eingeleiteten Erneuerungsprozess nach dem
Prinzip „trial and error“ zu verfahren und nicht automatisch alles
auf Anhieb richtig zu machen. So wenig, wie andere Staaten dieser
Welt eben auch. Wenn westliche Politiker nun kritisieren, der Papst
hätte deutlichere Worte an die Adresse der Regierung in Havanna
richten müssen, verkennen sie die Lage deshalb völlig – und vergessen
vor allem, zunächst einmal vor der eigenen Haustüre zu kehren. Denn
mittlerweile schon seit Jahrzehnten versuchen sie in ihrer
übertriebenen Amerika-Hörigkeit, eine völlig unbedeutende Insel
wirtschaftlich auszuhungern, während sie gleichzeitig China, die
brutalste, aber reichste kommunistische Diktatur, aus ökonomischen
Gründen hofieren. Dabei wären sie gut beraten, Benedikt XVI. zu
folgen. Der Kalte Krieg ist längst zu Ende, auch in Kuba. Europa und
die USA sollten dies endlich erkennen und akzeptieren – und nicht
päpstlicher sein als der Papst.
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