Mittelbayerische Zeitung: Mittelbayerische Zeitung (Regensburg) zu den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Prag und Tschechien

Mit mehr Schwung

Sechs Stunden – drei Viertel eines normalen Arbeitstages vergehen
heute, bis man in Prag angekommen ist, wenn man in München in den Zug
steigt. Dazwischen liegen unglaubliche vier Lokomotivwechsel. Oft
dauert es noch wesentlich länger – Verspätungen sind durchaus an der
Tagesordnung. Für eine 442 Kilometer lange Strecke ist das in der
heutigen Zeit eine halbe Ewigkeit. Und eine Zumutung angesichts der
Tatsache, dass der Fall des Eisernen Vorhangs nun über 20 Jahre
zurückliegt. Es mutet beschämend an, dass es vor allem auf deutscher
Seite lediglich im Schneckentempo mit dem Zusammenschluss der
Verkehrswege zu Tschechien vorangeht. Und es ist vor allem
unprofessionell, das wirtschaftliche Potenzial, das in diesem Raum
liegt, derart auszubremsen. Erstaunlich genug, dass sich allen
Engpässen zum Trotz die Wirtschaftsbeziehungen doch sehr flott
entwickelt haben. Tschechien ist heute der sechstwichtigste
Handelspartner Bayerns und die Nummer eins für den Freistaat unter
den mittel- und osteuroäischen Staaten. Insbesondere die grenznahen
Regionen wie der Landkreis Cham haben von der Öffnung und dem
Aufschwung Tschechiens in Summe enorm profitiert, mehr als jede
Regionalförderung je hätte bewirken können. Deshalb ist es ermutigend
und mehr als dringend, dass nun auf bayerisch-tschechicher Ebene
versucht wird, endlich Schwung in die Verbesserung der
Schienenverbindung München-Regensburg-Prag und darüber hinaus nach
Warschau zu bringen. Am Ende steht die Idee, sie zu einem Bestandteil
einer riesigen Transversale von Lyon bis Riga zu machen. Mit dem
gleichzeitigen Ausbau von Nord-Süd-Verbindungen würden sowohl
Ostbayern wie auch Tschechien exzellente Netze zu den Seehäfen an
Nord- und Ostsee sowie ans Mittelmeer gewinnen. Solch große Lösungen
sind unverzichtbarer Bestandteil von Entwicklungsprojekten auf
regionaler Ebene. Und sie sind notwendig, damit der Güterverkehr
nicht vollends die mit Lkw-Kolonnen heute schon über das erträgliche
Maß hinaus belasteten Straßen verstopft. Doch auch wenn unsere
Nachbarn beim Ausbau des Verkehrsnetzes wesentlich zügiger vorgehen
als Deutschland – ein Vorbild für Wirtschaftspolitik sind sie nicht
uneingeschränkt. Wie etwa Ausschreibungen und Vergaben gehandhabt
werden, treibt so manchem Unternehmer die Zornesröte ins Gesicht.
Nicht umsonst liegt Tschechien im CPI-Index von Transparency
International, der das Maß der Korruption bewertet, auf einem nur
mittelmäßigen 52. Platz unter 180 Staaten. Das reicht zwar, um vor
den langjährigen EU-Mitgliedern Italien und Griechenland zu landen.
Aber das sind wirklich keine Länder, an denen man sich in diesem
Punkt orientieren sollte. Es gibt weitere Kritikpunkte, die
Investoren nicht unbedingt anziehend finden. Dennoch bietet dieser
Nachbar gerade für Ostbayern weiterhin gute Chancen. Und über alle
mit Zahlen und Daten belegbaren Potenziale hinaus schadet es auch
nicht, eine noch bessere innere Einstellung zu finden. Zum Glück sind
jene Zeiten längst überwunden, als Ladenbesitzer in Bayern lieber
einen Aufpasser zur Abwehr von Dieben vor die Tür stellten als
zusätzliche Schilder in tschechischer Sprache im Geschäft
anzubringen. Eine noch intensivere Willkommenskultur wäre allerdings
wünschenswert – und würde beiden Seiten nutzen. Wenn man dann noch in
dreieinhalb statt sechs Stunden von Prag nach München mit der Bahn
reisen könnte, wäre das wunderbar.

Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de