Mittelbayerische Zeitung: Ratlos gegen Syrien Leitartikel zur EU-Außenpolitik

Der arabische Frühling hat die EU kalt
erwischt. Zuerst verschlief sie die Demokratiebewegungen in Tunesien
und Ägypten. Zu spätes Handeln, ineffizientes Eingreifen – das will
sich die EU jetzt nicht mehr vorwerfen lassen. Im Fall von Libyen und
Syrien zeigt die Gemeinschaft nun endlich Flagge. Über Tripolis bombt
die Nato und für Damaskus hat die EU ein strenges Sanktionspaket
geschnürt. Es ist gut, dass man sich einmischt. Und dennoch: Weder
der militärische noch der straf-erzieherische Eingriff haben bisher
Resultate erbracht. Die EU wirkt ratlos. Sie ist noch lange nicht der
globale Akteur, der sie so gern wäre. Die Unruhen in Syrien dauern
seit Wochen an. Das Regime geht mit Massenarrest, brutaler Folter und
Drangsalierungen gegen die Demonstranten vor. Die Zahl der Todesopfer
steigt wöchentlich. Laut Menschenrechtsorganisationen haben die
Aufstände bereits über 900 Tote gefordert. Umso unbegreiflicher ist
es, dass die europäischen Außenminister erst gestern ein
Einreiseverbot samt Kontensperre für denjenigen erließen, der all das
zu verantworten hat: Syriens Herrscher Baschar al-Assad. Der Einigung
war ein EU-interner Streit vorausgegangen. Eine Staatengruppe um
Deutschland hatte sich bei der ersten Sanktionsrunde vor zwei Wochen
geweigert, al-Assad mit auf die Liste zu setzen. Die Episode ist nur
ein Beispiel von vielen, das die Nichtexistenz einer gemeinsamen
Außenpolitik illustriert. Dabei hätte mit dem Lissabonvertrag alles
anders werden sollen. Doch obwohl es mit Catherine Ashton nun eine
EU-Chefdiplomatin gibt, wollen die Mitgliedsstaaten keine Kompetenzen
abgeben. Was daraus folgt, ist bekannt: Die EU agiert bei
internationalen Krisen so behäbig wie früher. Das sind denkbar
schlechte Voraussetzungen, um im arabischen Wandel Einfluss zu
nehmen. Dies hat sich schon im Falle Libyens gezeigt. Dass
Deutschland sich bei der Militäraktion völlig ausgeklinkt hat, hat
der EU einen Glaubwürdigkeitsdämpfer verpasst. Anstatt nun bei Syrien
geschlossen voranzugehen, haben einige Länder erneut einen raschen
Entschluss verhindert. Es ist also kein Wunder, dass die Gemeinschaft
in Arabien so wenig ausrichten kann – ihr fehlt eine gemeinsame
Basis. Erschwerend kommt hinzu, dass die nun aktuell auf dem Tisch
liegenden Optionen kaum Wirkung zeigen. Weder die Militärschläge über
Libyen, noch die Strafmaßnahmen gegen Syrien haben viel genutzt. In
beiden Ländern herrscht weiter ein Diktator, der Krieg gegen sein
eigenes Volk führt. Die EU steckt in dem Dilemma, dass sie ihr
Arsenal an möglichen Reaktionen aufgebraucht hat. Mehr scheint
einfach nicht drin zu sein. In die Rolle des globalen Akteurs muss
die Gemeinschaft erst noch hineinwachsen. Dass sich die EU derzeit so
schwertut, liegt auch daran, dass sie bisher beste Kontakte zu den
Diktatoren pflegte. Ob Rohstoffe oder die Sicherung der Außengrenzen:
Brüssel machte mit Libyen, Syrien und Co. stets gute Geschäfte. Doch
das ist nun vorbei. Die EU wird jetzt ihre Mittelmeerpolitik völlig
neu ausrichten müssen. Es ist klar: Ein Neuanfang braucht Zeit. Mit
ihrer überarbeiteten Strategie zur Nachbarschaftspolitik hat die EU
den ersten Schritt getan. Ziel muss es sein, den Menschen in den
nordafrikanischen Ländern eine Perspektive zu geben. Das kann nur
über wirtschaftliche und politische Reformen geschehen. Hier sollte
sich die EU an vorderster Front engagieren. Kann sie damit Erfolge
vorweisen, wäre es ein Meilenstein für die gemeinsame Außenpolitik.
Das Bild der ratlosen Union wäre korrigiert.

Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de