Von Roman Hiendlmaier
Wir streben ein nachhaltiges und ausbalanciertes Wachstum über
alle Weltregionen an,“ sagte BMW-Chef Norbert Reithofer im März bei
der Vorstellung der Jahresbilanz 2011. Gestern verkündete Reithofer
den Ausbau zweier Werke in China, deren Kapazität um nicht weniger
als 50 Prozent steigen soll. Bereits im kommenden Jahr sollen dort
300 000 Fahrzeuge vom Band rollen – gemessen nach heutigen Maßstäben
fast einem Viertel der gesamten Produktion, mehr als der Ausstoß des
Werks in Regensburg. Angesichts dieser unglaublichen Perspektiven
klingt der Verweis auf 2009 wie ein Rückblick ins Mittelalter. Vor
drei Jahren verkauften die Münchner 1,29 Millionen Fahrzeuge,
arbeiteten wochenlang kurz, strichen rund 10 000 Stellen. Reithofer
hat seitdem den Konzern gewaltig umgekrempelt. Mit Verweis auf „große
Herausforderungen“ wie dem Umstieg auf emissionsfreie Antriebe rückte
er das Wachstum in den Mittelpunkt. Absatz und Modellvielfalt wurden
massiv ausgebaut. Auch die gestrichenen Stellen wurden wieder
aufgefüllt, wenn auch auf Basis von Zeitarbeit. Sein Konzept ging
bisher auf: Im vergangenen Jahr verkaufte BMW knapp 400 000 Fahrzeuge
mehr als 2009. Absatz, Umsatz, Unternehmenswert, Rendite – unter
Reithofer rast BMW von einem Rekord zum nächsten. In den Applaus
mischen sich jedoch zunehmend besorgte Worte, ob und wie dieses Tempo
aufrechterhalten werden soll. Vor allem die Rolle Chinas ist heftig
umstritten. Der dortige Hunger nach Nobelkarossen schraubt das
Wachstum von BMW – wie auch das von Audi und Mercedes – in
unglaubliche Höhen. Allen Beschwörungen von Balance und
Bedachtsamkeit zum Trotz, überholte das Geschäft im Reich der Mitte
zu Beginn dieses Jahres locker das am Heimatmarkt und in den USA, wo
die „großen Drei“ auch nicht schlecht unterwegs sind. Aber eben kein
Vergleich mit China: Gekauft werden dort vor allem Modelle der
Mittel- und Oberklasse, gern die bulligen Geländewagen der
X-Baureihe. Hinzu kommen üppige Sonderausstattungen und spezielle
Versionen, die den Kaufpreis deutlich erhöhen – und damit auch den
Gewinn. Wie hoch der ausfällt, wird in München traditionell nicht
kommuniziert. Sicher ist nur, dass die Renditen deutlich über denen
im von der Schuldenkrise gezeichneten Europa liegen. Dort schrumpft
der Markt, vor allem beim Absatz in autoverliebten Ländern wie
Italien oder Spanien herrscht Flaute. Der schwächelnden Konjunktur in
einem Teil der Verkaufsgebiets will jedoch kein Nobelhersteller
Rechnung tragen – auch BMW nicht. Stattdessen begibt man sich
freiwillig in eine zunehmende Abhängigkeit vom chinesischen
Wirtschaftswachstum. Sollte es dort zu einer konjunkturellen
Abkühlung kommen, zieht der autoritäre Staat gar der ausländischen
Industrie die Daumenschrauben an – die Folgen für nicht nur für BMW
wären dramatisch. Wie schnell sich der Wind drehen kann, zeigte sich
im Frühjahr, als ein Ministerium in Peking eine Liste mit 400
Modellen chinesischer Hersteller veröffentlichte, die Funktionäre von
Staat und Partei kaufen sollen. „Vorläufig“, wie es hieß, aber für
den in dortigen Beamtenkreisen beliebten Hersteller Audi dennoch ein
Schock. Für derartige Bedenken ist – zumindest offiziell – in der
Chefetage des Münchner Vierzylinders kein Platz. Das Rennen um die
Pole-Position im Nobel-Segment muss weitergehen. Zumindest bis 2016,
dann feiert BMW seinen 100. Geburtstag und Konzernchef Reithofer
stellt sich zur Wiederwahl. Im Jubiläumsjahr zwei Millionen Fahrzeuge
zu verkaufen, hat der Chef sich selbst zum Ziel gesetzt. Dazu braucht
es kein „nachhaltiges und ausbalanciertes Wachstum“ sondern weiter
Vollgas in China – hoffentlich unfallfrei.
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