Wer Medizin studieren will, für den reichen ein
paar schlechte Klassenarbeiten, um jahrelang dafür zu büßen. Oder die
Wahl der falschen Schule oder das Aufwachsen im falschen Bundesland.
Denn während die Wartezeit für Medizinstudenten, deren Abi-Note für
die sofortige Zulassung zu schlecht war, noch vor einigen Jahren bei
vier Semestern lag, sind es heute 14. Wer Arzt werden will, wartet
also unter Umständen länger, als zu studieren. Die Regelstudienzeit
im Fach Medizin liegt nämlich bei zwölf Semestern. Ein 1,0-Abitur ist
wiederum nicht notwendig, um sich auszurechnen, dass besten
Schulnoten allein noch keinen guten Arzt ausmachen. Viele beklagen
die Dominanz der Abiturnote bei dem Auswahlverfahren, manche nennen
es schlicht Irrsinn. Uneingeschränkte Befürworter des Numerus clausus
sind rar. Gestern hat das Bundesverfassungsgericht das Urteil
verkündet, wonach das Auswahlverfahren im Medizinstudium die
Chancengleichheit der Studierenden verletzt und teilweise mit dem
Grundgesetz unvereinbar ist. „Der Gesetzgeber ist nun gefordert, das
Verfahren für die Zulassung zum Medizinstudium im Licht der Vorgaben
aus dem Urteil neu zu regeln“, reagierte Bundesbildungsministerin
Johann Wanka (CDU) auf die Entscheidung. Diese Aussage der Ministerin
führt in die Irre. Denn sie vermittelt den Eindruck, als sei erst
durch dieses Urteil ein neuer Handlungsdruck entstanden. Nichts ist
weniger richtig. Es reicht allein schon, sich zu vergegenwärtigen,
seit wann der Rechtsstreit offen ist, auf dem das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts gründet: seit 2012. Das Verwaltungsgericht
Gelsenkirchen entschied damals, dass die aktuelle Praxis nicht mehr
der Verfassung entspricht – weshalb Karlsruhe entscheiden soll. Genau
das ist passiert. Das Urteil fällt also keineswegs vom Himmel.
Jenseits der juristischen Seite hat sich nicht erst seit 2012 einiges
getan, das jeden Politiker zum Handeln veranlassen konnte. Drei
Entwicklungen stechen hervor. Es beginnt bei den Abiturnoten. Sie
sind flächendeckend immer besser geworden. Das hatte zur Folge, dass
die Zahl der Kandidaten immer weiter anstieg. Zusätzlich kommt eine
zweite in diesem Fall Nicht-Entwicklung zum Tragen. Die drastisch
angestiegene Zahl der Bewerber um einen Studienplatz für Humanmedizin
steht einer kaum gestiegenen Zahl verfügbarer Studienplätze
gegenüber. Zum Wintersemester 2017/2018 wollten nach Angaben der
Stiftung Hochschulzulassung 43 184 junge Menschen in Deutschland ein
Medizinstudium beginnen. Es standen aber nur 9176 Plätze zur
Verfügung. Gleichzeitig – und das ist die dritte Entwicklung – finden
auf dem Land immer mehr Hausärzte nur schwer Nachfolger für ihre
Praxen und in den Krankenhäusern sind Mediziner ebenfalls begehrt.
Von Anfang an holperte das System mit dem Numerus clausus. Die
steigenden Wartezeiten führten dazu, dass Wartende in medizinische
Ausbildungsberufe drängen. Dort aber nehmen sie anderen
Schulabgängern die Plätze weg – nur um nach den Wartesemestern doch
noch zu studieren. Andere, die es sich leisten können, studieren im
Ausland. Vorschläge für eine Reform des Zulassungsverfahrens liegen
schon seit einiger Zeit auf dem Tisch. Die Bundesärztekammer etwa
fordert, dass auch Kriterien wie psychosoziale Kompetenzen, soziales
Engagement und einschlägige Berufserfahrung herangezogen werden. Aber
alles Tüfteln an neuen Auswahlverfahren – mit neuen Quoten und neuen
Formeln – kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass so nur ein
eklatanter Mangel weiter verwaltet wird. Die Lösung kann letztlich
nur sein, dass die Politik zusätzliche Studienplätze im Bereich der
Medizin schafft.
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