Längst sind die Zeiten vorbei, in denen ein
deutscher Kanzler Familien-, Frauen- und Sozialpolitik flott als
„Gedöns“ abtat. Heute trägt die Politik dem gesellschaftlichen Wandel
Rechnung: Es ist völlig normal, dass Mütter arbeiten. Auch eine in
Vollzeit beschäftigte Mutter erregt kaum noch die Gemüter. Politik
und Unternehmen haben gelernt, dass sich auch anspruchsvolle
Tätigkeiten in Teilzeit ausüben lassen. Die Politik weiß, wie wichtig
aktives Gestalten der Familienbelange für die Gesellschaft ist. Heute
blicken Eltern aus anderen EU-Ländern neidvoll nach Deutschland, wenn
sie an das Elterngeld denken. Das hat sich hierzulande als
wirkungsvolles politisches Instrument erwiesen. Den Kulturwandel in
der Familienpolitik, den eine große Koalition vor einem Jahrzehnt
damit angestoßen hat, wollen Union und SPD nun zwar weiterführen, wie
sie im Entwurf des aktuellen Koalitionsvertrags ausführen. Was sie
planen, ist aber nicht mutig genug. Für Frauen hat sich einiges getan
in Sachen Vereinbarkeit – das alte Modell ist aber noch
vorherrschend: Väter arbeiten in Vollzeit, Mütter in Teilzeit. Um
eine faire Verteilung von Aufgaben wie Pflege oder Kindererziehung zu
erreichen, hatte SPD-Vize Manuela Schwesig in der vergangenen
Legislaturperiode das Konzept der Familienarbeitszeit propagiert:
Eltern kleiner Kinder und pflegende Angehörige sollten damit für zwei
Jahre die Möglichkeit erhalten, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Dafür
bekommen sie ein Familiengeld von 300 Euro monatlich. Schwesig wollte
damit „nicht die Familie arbeitsfreundlicher, sondern die Arbeitswelt
familienfreundlicher“ machen. Und so einen Anreiz zu bieten für
Väter, denen es zunehmend wichtig ist, mehr Zeit in der
Kleinkindphase zu haben und danach ohne „Karriereknick“ in den Job
zurückzukehren. Das neue Recht auf befristete Teilzeit, das die Groko
plant, ist jedoch durch viele Ausnahmen beschränkt. So müssen
Arbeitgeber in Unternehmen mit 45 bis 200 Mitarbeitern nur einem von
15 Beschäftigten den Anspruch gewähren. Das schließt viele
Arbeitnehmer aus. Anregung bekommt die Politik aktuell vom Ergebnis
des Tarifabschlusses der Metallindustrie, der ein flexibleres
Arbeitszeitmodell bringt. Damit auch Arbeitnehmer aus anderen
Branchen die Wahlfreiheit haben, sollte aber die Politik die
Standards setzen. Das wäre wichtiger als eine Kindergelderhöhung nach
dem Prinzip Gießkanne. Hinter anderen Vorhaben von Union und SPD
stehen Fragezeichen. Zum Beispiel bei der Betreuung von Grundschülern
am Nachmittag. Der Rechtsanspruch, den es von nun an geben soll,
klingt erstmal gut – denn wie sollen Eltern arbeiten, wenn ein
Schultag schon um 11.15 Uhr endet und die Oma weit entfernt wohnt?
Doch bisher hinken die Angebote der Nachfrage hinterher, vor allem im
Westen Deutschlands. Bei einem massiven Ausbau der Betreuung ist auch
die Qualität der Angebote fraglich. Für Eltern ist es wichtig, dass
Kinder nach dem regulären Unterricht nicht nur verwahrt werden,
sondern ihre Zeit sinnvoll und bereichernd verbringen – indem sie von
Pädagogen angeleitet lernen, aber auch Zeit für Spiele, Bewegung und
Ruhephasen haben. Ein Rechtsanspruch auf Betreuung bedeutet noch
nicht, dass der Platz ohne weiteres zu haben ist. Seit 2013 haben
Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Kinder ab einem
Jahr. Doch gerade in Ballungszentren wie München ist die Suche nach
einem Krippenplatz eine nervenaufreibende Sache. Familienpolitische
Neuerungen sind ein Anreiz, dass sich heute mehr Menschen in
Deutschland für Kinder entscheiden. Die neue Regierung muss den Weg
konsequent weitergehen. Eine Politik, die Menschen durch flexible
Arbeitsgestaltung unterstützt, wenn sie Kinder erziehen oder
Angehörige pflegen, entlastet die sozialen Sicherungssysteme.
Familienpolitik ist nicht nur für die Familien da. Sie eröffnet der
Gesellschaft neue Möglichkeiten.
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