Mittelbayerische Zeitung: SPD-Casting mit Chancen und Tücken / Der Kampf um den Landesvorsitz mobilisiert die Genossen.

Es ist nicht allein der Schulz-Effekt: Seit dem
angekündigten Rückzug von Noch-Parteichef Florian Pronold wirkt die
bayerische SPD wie neu belebt. Bester Beweis sind die gleich sechs
Kandidaten, die sich in einer Urwahl um die Nachfolge bewerben. Ein
beeindruckendes Zeichen für eine Partei, die sich seit jeher durch
immense Kritikbereitschaft am eigenen Führungspersonal ausgezeichnet
hat, nicht genauso häufig allerdings durch den Willen, es selbst in
die Hand zu nehmen und besser zu machen. Die sechs Kandidaten haben
also von vornherein Respekt verdient. An den neuen Star der BayernSPD
muss jedoch eine höhere Messlatte angelegt werden. Es geht nicht
allein darum, wer bei den 59 000 Mitgliedern im Freistaat gut
ankommt. Gesucht wird eine Führungsfigur, die bei den rund 13
Millionen Bürgern in Bayern gut ankommt, den Schulz-Effekt verstärkt
und die Genossen erst im Herbst bei der Bundestagswahl, dann 2018 bei
der Landtagswahl zum Erfolg führt. Die neue Parteichefin bzw. der
neue Parteichef müssen dem Spitzenpersonal der politischen
Mitbewerber auf Augenhöhe begegnen und auf den wichtigsten
Politikfeldern sattelfest sein. Horst Seehofer und Markus Söder – um
nur zwei Köpfe zu nennen – sind die täglichen Gegenspieler im
politischen Alltag, der nach dem SPD-Casting anbrechen wird. Ein
Alltag, für den in der SPD auch gewisse Frustrationstoleranz
notwendig ist. Denn Pronold ist nicht allein daran gescheitert, dass
es ihm an großem Charisma mangelt. Die Genossen im Freistaat spalten
sich in Fundis, die die Partei lieber in Schönheit sterben ließen,
bevor sie sich in Regierungsverantwortung verbiegt, und die Realos,
die etwas mehr am Faktor Nestwärme arbeiten könnten. Realo Pronold
ist der nötige Spagat offensichtlich nicht gelungen. Wer ihm folgt,
muss aber erst einmal zeigen, wie es besser geht. Der Oberpfälzer
SPD-Chef Franz Schindler hat die Grenzen des in der Partei so heiß
ersehnten Neuanfangs treffgenau skizziert: Der Landesvorsitzende mag
wechseln, die politischen Koordinaten sind damit nicht aus den Angeln
gehoben. Im SPD-Sextett gibt es mit Generalsekretärin Natascha Kohnen
und dem Münchner Landtagsabgeordneten Florian von Brunn zwei
Favoriten um die Pronold-Nachfolge. Wie stark der Kandidat der
Basis-Initiative der „Mutigen“ ins Geschehen eingreifen kann, ist
schwer zu sagen. Die gut 30 Prozent, die Mutigen-Protagonist Walter
Adam beim SPD-Parteitag vor zwei Jahren gegen Pronold einfuhr, sind
nicht automatisch übertragbar. Schon allein, weil das Bewerberfeld
nun deutlich größer ist. Sehr wahrscheinlich ist, dass die Urwahl für
keinen Kandidaten die absolute Mehrheit bringt und die Frage des
Parteivorsitzes erst im Mai beim SPD-Parteitag in Schweinfurt
entschieden wird. Die „Mutigen“ haben im ersten Schlagabtausch einen
Nebenkriegsschauplatz eröffnet. Das Amt des Parteichefs ist nach
ihrer Lesart bei Vertretern der Basis besser aufgehoben, als bei
Mandatsträgern. Eine eigentümliche Idee. Abgeordnete sind durch ihre
Wählerschaft legitimiert. Entscheidend ist nicht, welchen Querschnitt
der Basis ein Kandidat im Rücken hat, sondern wie gut er für den Job
geeignet ist – ob er nun Berufspolitiker ist oder nicht. Die Urwahl
ist für die SPD eine große Chance. Im besten Fall mobilisiert sie das
Parteivolk im Wahljahr und stärkt die Kräfte, die es der CSU schwer
machen. Im schlechtesten Fall sorgt sie für Streit und Argwohn unter
den Genossen. Es wäre ein fataler Fehler, der den Schulz-Effekt im
Freistaat zum Verpuffen bringt.

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