Mittelbayerische Zeitung: Störung der Friedhofsruhe Kommentar zu Weißrussland

Bei Lichte betrachtet möchte man lieber nicht
Chefermittler im Dienste von Lukaschenko sein. „Männer“, tönt der
Diktator, „bringt mir die Mörder, aber hurtig!“ Was bleibt einem
armen Staatsanwalt oder KGB-Agenten anderes übrig, als schnell einen
oder besser gleich mehrere Täter zu präsentieren? Im Ernst: Ob die
Verdächtigen, die Lukaschenkos Erfüllungsgehilfen als mutmaßliche
Drahtzieher des Anschlags in Minsk ins Visier genommen haben, etwas
mit dem Terrorakt zu tun haben, ist offen. Klar ist dagegen, dass der
Bombenhorror Weißrussland schlagartig ins Blickfeld der europäischen
Öffentlichkeit rückt. Daraus war es trotz der Gewaltorgie, die
Diktator Lukaschenko nach der gefälschten Präsidentenwahl entfesselt
hatte, zuletzt verschwunden. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass
der Alleinherrscher selbst hinter dem Anschlag steckt. Um eine neue
Repressionswelle loszutreten, braucht Lukaschenko keinen Anlass. Da
lässt er einfach knüppeln. Es liegt vielmehr nahe, hinter dem
Terrorakt eine Gruppe zu vermuten, die Lukaschenko in Bedrängnis
bringen will. Eine Spur führt in den Machtapparat selbst, in dem die
Unzufriedenheit mit dem immer absurdere Züge annehmenden Personenkult
des Despoten schwelt. Unstrittig ist in jedem Fall, dass die Bombe
die Friedhofsruhe gestört hat, die Lukaschenko im Dezember
herbeiprügeln ließ. Deshalb auch ist die Staatsmacht so schnell mit
Verdächtigen bei der Hand. In Weißrussland gärt es. Die EU und die
USA sollten sich deshalb gut auf den Tag X vorbereiten, an dem das
Regime entweder außer Rand und Band gerät oder – im besseren Fall –
kollabiert.

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