Von Jochen Wittmann
Großbritannien und Europa, das war schon immer eine schwierige
Beziehung: ein Verhältnis, das sich nicht gebessert, sondern stetig
verschlechtert hat. In den letzten zehn Jahren haben sich die Briten
immer deutlicher von der Europäischen Union abgewendet. Und nachdem
Premierminister David Cameron mit seinem Veto gegen einen neuen
EU-Vertrag das Königreich in Europa völlig isoliert hat, wird jetzt
das jüngste Kapitel einer traurigen Saga geschrieben. Es hat wohl
nicht geholfen, dass den Briten zweimal – damals jeweils durch ein
französisches Veto – die Tür vor der Nase zugeknallt wurde, als sie
sich 1961 und 1963 um den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft
bewarben. Erst 1973 wurde Großbritannien Mitglied. Die
leidenschaftliche Debatte allerdings, ob das Land nicht besser allein
dastünde oder aber seine Souveränität mit den europäischen Nachbarn
teilen solle, hat damit nicht aufgehört. Sie währt nun schon mehr als
vierzig Jahre und hat an Intensität her zu- als abgenommen. Einen
Lichtblick gab es, als 1997 Tony Blair in die Downing Street einzog.
Er wolle Großbritannien „im Herzen Europas“ verankern, versprach der
frischgebackene Premierminister, und anfangs stimmte die Richtung.
Blair gab das Opt-Out von der Europäischen Sozialcharta auf und
zeichnete die Charta der Grundrechte. Doch sein Versprechen, das Land
auf einen Beitritt zum Euro vorzubereiten, hat Blair nicht gehalten.
Er wusste wohl, dass man mit dem Thema im Königreich keine Wahlen
gewinnen kann. Vor einem Jahrzehnt sprachen sich noch 68 Prozent der
Briten für einen Verbleib in der EU aus, während 19 Prozent sie
verlassen wollen. Heute sind es 48 Prozent, die einen Austritt
befürworten, während sich die Zahl der Europafreunde auf 33 Prozent
verringert hat. Den Grund für die stetige Verschlechterung darf man
einerseits bei einer zutiefst euroskeptischen Presse suchen, die
keine Chance auslässt, das Verhältnis zur EU als einen ständigen
Kampf um nationale Souveränität zu beschreiben: Europa als Bedrohung.
Auf der anderen Seite hat sich die Konservative Partei mittlerweile
ganz dem Euroskeptizismus verschrieben. Gab es vor einem Jahrzehnt
noch ein gewichtiges europhiles Lager innerhalb der Tory-Fraktion, so
ist sie heute ganz verschwunden. Keiner will mehr eine Lanze für
Europa brechen. So ist auch zu erklären, dass David Cameron etwas
tat, was er mittlerweile zu bereuen scheint: Großbritannien isoliert
und marginalisiert zu haben. Selbst Margaret Thatchers
anti-europäischen Ressentiments haben nie die Oberhand über eine
politische Binsenweisheit gewonnen: Dass man nämlich mit am Tisch
sitzen muss, wenn entschieden wird. Camerons Instinkte dagegen haben
unter dem permamenten anti-europäischen Klima in seiner Partei
gelitten. Das bewies er schon 2009, als er entschied, dass die
Konservativen die EVP verlassen, die Gruppierung zumeist
christdemokratischer Parteien im Europaparlament. Das war ein erster
Schritt in die Isolation. Die Konsequenzen seines Vetos müssen ihn
jetzt erschrecken, nachdem ihm seine Freunde in der City sagen, dass
er mit einer Blockadepolitik weit weniger Chancen hat, schädliche
Regulierungsinitiativen für die britische Finanzindustrie abzuwehren.
Ihm mag in den Ohren klingen, was George Orwell schon vor einem
halben Jahrhundert prophezeite: „Die Insularität der Engländer, ihre
Weigerung, Ausländer ernst zu nehmen, ist ein Wahnwitz, für den von
Zeit zu Zeit teuer bezahlt werden muss.“
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de
Weitere Informationen unter:
http://