Mittelbayerische Zeitung: Umdeutung der Realtität / Die alternative Faktenausgabe von Trumps Sprecher ist ein Angriff auf die Pressefreiheit.

Der erste Auftritt Sean Spicers vor dem
Pressecorps des Weißen Hauses lässt wenig Gutes für das Verhältnis
des neuen Präsidenten zu den Medien erahnen. Dabei stößt weniger der
unsägliche Kommando-Stil des pensionierten Navy-Offiziers auf. Damit
können die gestandenen Korrespondenten im Weißen Haus gut leben, sind
ihnen die Tiraden gegen „die gewöhnlichen Medien“ und neuerdings auch
„Lügenpresse“ doch alles andere als neu. Viel beunruhigender ist die
Entscheidung Spicers, mit der Autorität des Weißen Hauses glatte
Lügen in die Welt zu setzen, die sich sehr einfach als solche belegen
lassen. Im konkreten Fall zeigen Fotos und Fahrgast-Zahlen der
öffentlichen Verkehrsmittel ohne Zweifel, dass die Amtseinführung
Donald Trumps im Vergleich zum Frauenmarsch und der Inauguration
Barack Obamas ein Flop war. Dass die enge Vertraute des Präsidenten,
Kellyanne Conway, dem überforderten Sprecher anschließend zur Seite
springt, und dessen falschen Behauptungen als „alternative Fakten“
verkauft, bewegt die neue Regierung in George Orwells
„Neusprech“-Territorium. Orwell beschrieb in seinem Roman „1984“
damit die Umdeutung der Wirklichkeit durch Sprache. Unangenehme
Fakten werden von den Herrschenden mit Hilfe semantischer
Umschichtungen in genehme Narrative verwandelt. Oder wie Spicer nach
einer expliziten Drohung, gegen Reporter vorzugehen, sagte: „Das
amerikanische Volk verdient etwas Besseres. Und solange er (Trump,
die Red.) als Botschafter dieser unglaublichen Bewegung dient, wird
er seine Botschaften direkt zum Volk bringen.“ Genau. So haben es
sich Könige, Autokraten und Diktatoren schon immer gewünscht, und,
wenn sie konnten, auch durchgesetzt: Ungefiltert durch eine freie und
kritische Presse dem Volk von ihren Großtaten zu künden. Zum
Beispiel, wie enthusiastisch die Amerikaner den 45. Präsidenten
willkommen geheißen hätten. In der schönen neuen Welt des Weißen
Hauses hatte Trump „das größte Publikum gehabt, das jemals einer
Amtseinführung beiwohnte. Punkt.“ Das klingt mehr nach Befehlsausgabe
im Wahrheitsministerium als einer seriösen Unterrichtung der
Öffentlichkeit. Gemessen an dem übrigen Verhalten gegenüber den
Medien drängt sich der erschreckende Verdacht auf, dies könnte der
neue Status quo werden. Trump hatte im Wahlkampf angekündigt, er
werde im Umgang mit den Medien andere Saiten aufziehen. Er stellte
etwa die täglichen Briefings in Frage. Ganz konkret befürchtet die
Korrespondentenvereinigung, dass sie künftig nicht mehr selber über
die Vergabe der wenigen festen Plätze im Briefing-Room entscheidet,
sondern das Weiße Haus. Die bisher gültige Formel „Zugang zu
Informationen gegen Sorgfaltspflicht“ könnte schon sehr bald durch
eine andere ersetzt werden: Zugang durch Wohlverhalten. Kritische
Nachfragen unerwünscht. Statt der Reporter der New York Times,
Washington Post und CNN nehmen dann „Fake-News“-Produzenten wie
„Breitbart“, „Infowars“ oder „Gotnews“ die Plätze in den vorderen
Reihen ein und verhelfen Orwells Neusprech zum Durchbruch. Solange es
bei Teilnehmerzahlen zur Amtseinführung bliebe, wäre das Gebaren des
Weißen Hauses bloß ein gefundenes Fressen für die
Mitternachts-Komödianten oder lustige „Memen“. Die Sache wird sehr
viel ernster, wenn es um Krieg und Frieden, Terrorismus oder andere
Informationen geht, über die nur die Regierung verfügt. Spicers
alternative Faktenausgabe wäre dann nicht nur eine peinliche
Lachnummer, sondern ein Angriff auf die Fundamente der
Pressefreiheit.

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