Was unterscheidet Norwegen und Deutschland in
den Tagen nach dem blutigen Massaker des Anders Behring Breivik?
Trauernd und entsetzt, aber auch gefasst und entschlossen, die
Freiheiten der Demokratie nicht leichtfertig über Bord zu werfen und
am Ideal einer offenen Gesellschaft fest zu halten, ist die
vorherrschende Reaktion im Land der Amokläufers selbst. Hierzulande
hingegen ist eine hektische Debatte über schärfere
Sicherheitsgesetze, Internet-Kontrollen oder ein Verbot von
rechtsextremen Parteien in Gang gekommen. So, als gäbe es ein
Patentrezept gegen ideologisch verblendete Terroristen. Und so
manchem deutschen Politiker, der jetzt forsch ins Horn bläst, stünde
etwas mehr Zurückhaltung und kühle Analyse gut zu Gesicht. So oder so
darf der schreckliche Massenmord von Oslo nicht zu billiger
politischer Stimmungsmache ausgenutzt werden, nicht in Norwegen nicht
in Deutschland, nirgends. Es wäre ein Populismus auf dem Rücken von
Getöteten, Verletzten und deren Angehörigen. Das gilt übrigens auch
für die Medien, von denen einige voreilig gängige Klischees
bedienten. Aber selbstverständlich muss auch in Deutschland über
sicherheitspolitische Konsequenzen nach dem furchtbaren Geschehen in
Norwegen nachgedacht werden. Aber dazu gehört leider auch das
Eingeständnis, dass Taten eines verbohrten Einzelgängers in freien
Gesellschaften niemals völlig ausgeschlossen werden können. So etwas
geht nicht einmal unter der totalen Kontrolle von Diktaturen. Weder
die zurzeit heiß diskutierte Vorratsdatenspeicherung, noch ein Verbot
von rechtsextremen Parteien oder eine Gefährder-Datei hätten Anders
Behring Breivik von seinen akribisch geplanten Morden abhalten
können. Gleichwohl muss sich die deutsche Gesellschaft, die Politik
besonders, Gedanken machen, wie radikalen und gewaltbereiten
Fanatikern der Boden entzogen werden kann, wie gesellschaftliche
Abwehrkräfte gegen Intoleranz gestärkt werden können. Und es braucht
eine Art gesellschaftliche Sensorik, die Extremisten, ganz gleich ob
als einzelne oder in Gruppen, anzeigt. Die Mörder des 11. September
2001 konnten sich in aller Seelenruhe in Hamburg-Harburg auf die
Flugzeugentführungen und Attacken vorbereiten. Der Massenmörder von
Oslo tauchte unter der biederen Maske eines Landwirts ab, konnte
massenhaft Sprengstoff herstellen und besaß ein ganzes Arsenal aus
teuflisch-modernen Waffen. Hat das Umfeld in beiden Fällen wirklich
rein gar nichts mitbekommen? Ein Verbot der mit der DVU fusionierten
rechtsextremen NPD, nach dem Linke, SPD und Grüne fast schon
reflexartig rufen, greift indes zu kurz. Den politischen
Rechtsauslegern schaden die Morde von Oslo eher, als dass sie ihnen
Zulauf bescheren könnten. Nur braucht es für ein erfolgversprechendes
Partei-Verbotsverfahren hieb- und stichfeste Gründe. Vor einigen
Jahren sind die Law-and-Order-Minister Otto Schily (SPD) und Günther
Beckstein (CSU) beim Versuch schmerzlich auf die Nase gefallen. Das
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die seinerzeit vor allem
durch V-Leute innerhalb der NPD erhobenen Fakten für nicht zulässig
erklärt. Wer diesen Rechtsextremen wirklich „den Saft abdrehen“, etwa
staatliche Wahlbeihilfen unterbinden will, muss besser vorbereitet
sein. Ganz anders liegen die Dinge bei der gleichfalls von Karlsruhe
gestoppten Vorratsdatenspeicherung. Dieses Möglichkeit, Spuren im
Internet oder beim Telefonieren zurück verfolgen zu können, wäre in
den Händen der Ermittler ein scharfes Schwert. Und allemal besser als
die von der FDP vorgeschlagene Möglichkeit, Telekommunikationsdaten
nur bei begründetem Verdacht „einfrieren“ zu können. Der Pferdefuß
des Leutheusser-Schnarrenberger-Vorstoßes ist und bleibt, dass auf
weiter zurück liegende Verbindungen nicht zugegriffen werden kann.
Mit der Aushöhlung von Freiheitsrechten und Demokratie hat die
Speicherung elektronischer Verbindungsdaten nichts zu tun.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de