Von Bernhard Fleischmann, MZ
Welch eine Überraschung: Der große Ferdinand Piëch muss klein
beigeben, Martin Winterkorn darf den deutschen Vorzeigekonzern
Volkswagen weiterhin führen. Ein Sieg für den Vorstandschef über
einen alternden Patriarchen, der die Wirksamkeit seiner verbalen
Säbelhiebe offenbar überschätzt hat. Da sind zwei unerschütterlich
selbstbewusste Alpha-Tiere derart aufeinander losgegangen, dass am
Ende nur zerrupfte Figuren übrigbleiben können. Piëch hat eine
krachende Niederlage einstecken müssen. Aber bei Winterkorn von einem
Sieg zu sprechen, ist übertrieben. Bestenfalls einen Etappensieg hat
er errungen, sein Überleben an der Spitze vorerst gesichert. Mehr
nicht. Auch seine Macht bröselt. Das ist nicht mehr aufzuhalten seit
den giftigen Worten seines Chefaufsehers. Aber immerhin, Winterkorn
ist noch da. Dabei hat in den vergangenen zwei Tagen vieles darauf
hingedeutet, dass er ab diesem Wochenende viel Freizeit haben würde.
Neben Piëchs Attacken, die bislang noch kein Vorstandschef in Amt und
Würden überlebt hat, gab es weitere Tiefschläge. Während am
Donnerstag das Präsidium tagte, setzte sich der Großaktionär Katar
schon deutlich von Winterkorn ab. Ein Londoner Analysehaus verkündete
nach einer Blitzumfrage unter mehr als 50 Investoren, dass 80 Prozent
von ihnen glaubten, ein Chefwechsel würde dem Aktienkurs von
Volkswagen gut tun. Sowas nennt sich ein Misstrauensvotum des
Kapitalmarkts – hatte nur nicht allzu viel Gewicht, weil die
Datenlage doch arg dünn war. Dann verlor am Abend der gesponsorte VfL
Wolfsburg deftig gegen Neapel. Und am Freitagfrüh musste VW eher
schwache Absatzzahlen vermelden. Vor allem die Kernmarke VW
schwächelt, und ausgerechnet in China, dem weltweit wichtigsten
Markt, läuft es nicht besonders gut. So sehr der selbstherrliche
Piëch mit seinem indiskutablen Absägeversuch den Zorn und das
Unverständnis der Öffentlichkeit auf sich gezogen hat – es ist nicht
so, dass Winterkorns Stern nur so funkelt. Anlass zur Kritik gibt es
allemal. Als da wären das hundsmiserabel laufende US-Geschäft. Das
vor wenigen Jahren gebaute Werk dort ist nur etwa zur Hälfte
ausgelastet und fährt deftige Verluste ein. Bei den Wettbewerbern BMW
und Daimler ziehen die US-Verkäufe an, die Gewinne sprudeln. VW
dagegen steckt fest. Im alles überragenden Prestigekampf um die Krone
in der Premium-Klasse fällt die Tochter Audi zurück, während BMW
davonzieht und obendrein deutlich mutiger agiert. Mercedes hat rasant
aufgeholt. Der stets konservativere Vertreter in dieser Liga wirkt
zurzeit viel frischer als Audi. Da muss sich vor allem der Chef in
Ingolstadt, Rupert Stadler, unbequeme Fragen stellen lassen. Immerhin
verdient Audi noch sehr viel Geld, ganz im Gegensatz zu VW, dessen
Modelle trotz mutiger Preise wenig Gewinn in der Kasse zurücklassen.
Baustellen gibt es also genug, keineswegs läuft alles rund unter
Winterkorn. Bisweilen scheint allzu sehr im Vordergrund zu stehen,
dass die Wolfsburger endlich Toyota als nach Stückzahlen Nummer eins
unter den Autoherstellern ablösen wollen. Es wirkt mitunter so, als
diente dieses Ziel allein dem Glanz geltungssüchtiger Manager. Dabei
gibt es Wichtigeres: Moderne Produkte, die umweltverträglich sind und
die Kunden begeistern, zufriedene Mitarbeiter, hohe Qualität und eine
gute Rendite. Insofern hat aber die rüde Attacke Piëchs sogar ihr
Gutes. Winterkorn steht mehr als bisher unter Druck, die
liegengebliebenen Problemfelder mit Verve anzugehen. Die Frage ist
nur, ob seine Durchsetzungsfähigkeit dazu nicht allzu sehr gelitten
hat.
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