Den Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei hat
seine Verhaftung nicht überrascht. In einem kurz zuvor geführten
Interview sagte er, dass er sie täglich, ja stündlich erwarte. So
berechenbar brutal ist die chinesische Führung. Der Westen aber tut
entsetzt. Und duckt sich wieder einmal vor der Tatze des Drachen,
anstatt zu beweisen, dass es ihm mit der Freiheit der Kunst und der
Achtung der Menschenrechte Ernst ist. Eine klatschende Ohrfeige ist
Ai Weiweis Verhaftung für die deutsche Delegation mit
Bundesaußenminister Guido Westerwelle an der Spitze, die nur zwei
Tage vorher die deutsche Monumentalausstellung „Kunst der Aufklärung“
in Peking eröffnet hatte. Das höfliche Schweigen zu den damit
einhergehenden Restriktionen muss auf das chinesische Regime geradezu
ermutigend gewirkt haben. Dem Autor Tilman Spengler, der Westerwelle
begleiten sollte, wurde die Einreise verweigert. Weil Spengler eine
Lobrede auf den im Gefängnis sitzenden Friedensnobelpreisträger Liu
Xiaobo gehalten hat, ist er „kein Freund des chinesischen Volkes“.
Westerwelle reiste ohne ihn. Das Rahmenprogramm der Ausstellung wurde
zensiert. Ai Weiwei, einer der bekanntesten Künstler des Landes,
wurde zu den Salon-Gesprächen unter dem Titel „Aufklärung im Dialog“
nicht zugelassen. Den „Meilenstein in den deutsch-chinesischen
Beziehungen“, wie Westerwelle die Ausstellung nannte, hätte man schon
vor der Eröffnung als Stolperstein erkennen können. Die Ohrfeige kam
nicht aus dem Hinterhalt. Die Ausstellung soll China die europäische
Epoche nahebringen, die den Grundstein für die modernen Demokratien
legte. Der Zeitpunkt könnte nicht schlechter gewählt sein. In China
hat es seit Jahresbeginn wieder mehr Festnahmen gegeben. Die
Regierung ist nervös angesichts der Volksaufstände in der arabischen
Welt. Die Behörden haben Internetseiten gestört oder gesperrt.
Schlüsselwörter wie „Jasmin“ werden gefiltert. Wer seine Stimme für
die Demokratie erhebt, wird durch Hausarrest und Handyabschaltung zum
Schweigen gebracht. Der Ausstellungsort ist nicht weniger belastet.
Das von deutschen Architekten umgebaute gigantische Museum liegt
neben dem Platz des Himmlischen Friedens, wo 1989 die
Demokratiebewegung blutig niedergewalzt wurde. Im eitlen Wunsch nach
pompöser Inszenierung haben Politiker und Leihgeber über all das
großzügig hinweggesehen. Die Ausstellung ist durch Ai Weiweis –
fadenscheinig begründete – Verhaftung zur Farce geworden. Die
Diskussion in Deutschland ist es ebenso. Architekt Meinhard von
Gerkan meint sagen zu müssen, dass es „in der Geschichte Chinas noch
nie so viel Freiheit für das Individuum gegeben hat“. Einer der
Leihgeber, der Chef der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, fragt
öffentlich, warum man überhaupt so ein Gewese um den „Popstar“ Ai
Weiwei mache. Es gebe Hunderte andere, um die sich niemand schere.
Letzteres stimmt, leider. Doch Ai Weiwei ist nicht deshalb
Galionsfigur, weil er sich gut vermarktet, sondern weil er immer
wieder den Mund aufmacht. Er hat weltweit Anhänger, weil er Mut
beweist. Das kann man von der Politik nicht sagen. Zehn Tage hat die
EU gebraucht, um sich ein besorgtes Statement abzuringen. Mehr wird
man nicht hören, denn letztlich will es sich kein Land mit der
(Wirtschafts-)Macht China verscherzen. Vernunft ist eine
aufklärerische Tugend und eine Eigenschaft, die Ai Weiwei gerade an
den Deutschen schätzt. Doch unterwirft sich die Vernunft dem Diktat
ökonomischer Zwänge, ist sie bloß Vorstufe zu einer anderen Form der
Barbarei. Die Ausstellung in Peking kann vorzeitig beendet werden.
Die subtile politische Botschaft, die laut Westerwelle darin steckt,
hat möglicherweise nicht einmal der Westen verstanden.
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