Mitteldeutsche Zeitung: Geheimdienste BND hat offenbar noch intensiver befreundete Staaten ausgeforscht

Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat offenbar mehr
eigene Selektoren gegen Staaten der Europäischen Union und die USA
eingesetzt als bisher bekannt und als dem Auftragsprofil des
Auslandsgeheimdienstes entsprachen. Das ergibt sich nach einem
Bericht der in Halle erscheinenden „Mitteldeutschen Zeitung“
(Online-Ausgabe) aus den ersten Recherchen der vom Parlamentarischen
Kontrollgremium (PKGr) zur BND-Zentrale in Pullach entsandten Task
Force. Als die Affäre Mitte Oktober ruchbar wurde, hatten der
Geheimdienst-Koordinator im Bundeskanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche,
und BND-Präsident Gerhard Schindler in dem Gremium die Zahl 2800
genannt. Die Task Force kam jetzt zu dem Ergebnis, dass es mindestens
3600 seien, womöglich auch mehr. Ein mit den Recherchen befasster
führender Bundestagsabgeordneter erklärte zudem: „Es sind sehr viele
Botschaften in sehr vielen europäischen Ländern betroffen – auch
solche, die überhaupt nichts mit dem Auftragsprofil des BND zu tun
haben.“ Dazu kämen Nicht-Regierungsorganisationen, für deren
Observierung es ebenfalls keine Begründung gebe. Die Task Force prüfe
mittlerweile, welche Telefon-Nummern und E-Mail-Adressen zu welchen
Personen gehörten und wann das Bundeskanzleramt was über diese
Spionage wusste. Ein weiterer Abgeordneter zeigte sich erbost
angesichts der neuen Zahl und sagte mit Blick auf die offizielle
Informationspolitik: „Irgendwann reicht es.“ Bis vor drei Wochen hieß
es, der BND habe lediglich Selektoren des US-Geheimdienstes NSA
verwandt – also Telefon-Nummern oder E-Mail-Adressen, nach denen man
die verfügbaren Datenströme auch von Verbündeten durchsuchte. Um
Medienberichten zuvor zu kommen, räumten Bundeskanzleramt und BND
dann kurzfristig im PKGr ein, dass der BND selbst derartige
Selektoren zu ähnlichen Zwecken verwandte. Dem Vernehmen nach kamen
sie seit Ende der 90er Jahre bis zum Oktober 2013 zum Einsatz.
Seinerzeit informierte BND-Chef Schindler den damaligen
Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) über die Praxis – und zwar im
Zuge der Enthüllungen des einstigen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden.
Pofalla ließ die Praxis angeblich sofort stoppen.

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