Nach Ansicht des letzten DDR-Staatsratsvorsitzenden
Egon Krenz hätte der Mauerfall vor 25 Jahren leicht „in
bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen umschlagen“ können. „Wir
standen einer militärischen Lösung näher, als das viele heute
wahrhaben wollen“, sagte Krenz der in Halle erscheinenden
„Mitteldeutschen Zeitung“, die am Sonntag eine 68-seitige
Sonderausgabe zum Mauerfall-Jubiläum veröffentlicht. Die Zeitung hat
dafür Krenz mit dem früheren Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt,
Wolfgang Böhmer (CDU), ins Gespräch gebracht.
Durch die „Schussligkeit“ des Politbüro-Mitglieds Günter
Schabowski, der den historischen Abend mit der Verkündung einer neuen
Reiseregelung für DDR-Bürger eingeleitet hatte, sei eine chaotische
Situation entstanden, erinnert sich Krenz. „Die Gefahr, dass der
Abend in einer Katastrophe hätte enden können, war äußerst groß“,
sagte Krenz der Zeitung. Das sei durch die Besonnenheit der Grenzer,
die von der Neureglung nicht informiert waren, verhindert worden.
„Das sind die eigentlichen Helden des 9. November“, so Krenz.
Den Untergang der DDR empfindet der heute 77-jährige Krenz auch
als persönliche Niederlage. „Dass auch ich die DDR nicht mehr am
Leben erhalten konnte, zähle ich zu meiner Lebensniederlage“, sagte
Krenz. Er habe Veränderungen gewollt, aber „viel zu spät“.
Ex-Ministerpräsident Böhmer bezweifelte, dass Reformen gegriffen
hätten. „Mehr Demokratie heißt am Ende auch freie Wahlen“, so Böhmer.
Dabei hätte die SED keinesfalls die Mehrheit bekommen. „Dass die
Diktatur des Proletariats die höchste Form der Demokratie sein soll,
hat doch ernsthaft schon damals niemand geglaubt“, sagte Böhmer.
Krenz lehnt einen „Schmähbegriff wie Unrechtsstaat“ für die DDR
ab, weil er keinen Platz für Differenzierung lasse. Böhmer hält
dagegen: „In der Verfassung stand das Post- und Fernmeldegeheimnis –
und täglich wurde von vielen Leuten die Post kontrolliert. Wenn einer
so etwas als Unrechtsstaat bezeichnet, dann kann ich das verstehen.
Das kodifizierte Recht war interpretationsfähig und nicht einklagbar.
Die Deutung übernahmen die Repräsentanten der selbsterklärten
Diktatur.“
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