Mitteldeutsche Zeitung: Politik/Zeitgeschichte Historiker Volkhard Knigge: „Hitler war kein Naturereignis“

Die Geschichte des Nationalsozialismus vor und nach
Hitlers Machtantritt am 30. Januar 1933 hängt zusammen. Diese
Auffassung vertritt der Historiker Volkhard Knigge, Direktor der
Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora im Interview mit der in
Halle (Saale) erscheinenden Mitteldeutschen Zeitung
(Mittwoch-Ausgabe). „Und so wichtig die Erfahrung der Opfer ist, so
wichtig ist das Wissen um die Täter“, sagt Knigge. Sonst werde man
der Relevanz, die dieser Teil der Geschichte für unsere Gegenwart
noch hat, nicht gerecht. „Wer nicht versteht, wer Hitler an die Macht
gebracht hat, kann nicht verstehen, was danach passiert ist.“

Über die Verdrängung eigener Mitwisserschaft an den Verbrechen der
NS-Diktatur bei vielen Deutschen sagt Knigge: „Das Abwehrverhalten,
Hitler sei quasi wie ein Außerirdischer über die Deutschen gekommen,
gibt es zunächst in beiden deutschen Staaten. Im Westen ist das durch
innergesellschaftliche Debatten in den 60er Jahren aufgebrochen
worden, im Osten war das erst nach dem Untergang der DDR möglich.“.
Der eingebürgerte Begriff „Machtübernahme“ vermittle ein völlig
falsches Bild, so Knigge. Hitler sei kein Naturereignis gewesen. „Die
Macht ist übertragen worden, von den Reaktionären des Kaiserreichs
und jenen Eliten, die sich mit der Weimarer Republik nicht anfreunden
konnten: Reichswehr, Großindustrie. Bürokratie. Sie haben Hitler den
Weg gebahnt. Und es gibt eine große Zahl von Deutschen, die ihren
„Führer“ jubelnd aufgenommen haben.“

Die Warnung, die man daraus ableiten könne, sei: „Solche Systeme
kommen eben nicht von oben, von außerhalb der Geschichte, sondern
werden auch aus der Mitte der Gesellschaft heraus ermöglicht. Das
muss man anerkennen, wenn wir eine hellsichtige Wahrnehmung nicht nur
unserer Geschichte, sondern auch der Gegenwart wünschen.
Antidemokratische Strömungen gibt es ja massiv, Rassismus und
Antisemitismus sind nicht erledigt. Und wir haben ein ökonomisches
System, das moralisch indifferent ist. Das muss also eingehegt
werden.“

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Hartmut Augustin
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