An den Afghanen vorbei
Schwer zu sagen, was schlimmer ist: Dass wieder viele Drogenbosse
und Kriegsverbrecher ins afghanische Parlament einziehen werden –
oder dass der Westen zwar darüber die Nase rümpft, die Ursachen aber
seit neun Jahren konsequent ignoriert. Klar ist: Das eine hat jede
Menge mit dem anderen zu tun.
Wen sonst sollten die Afghanen wählen? In ihrer vom Dauerkrieg
zermürbten, moralisch ernüchterten Gesellschaft gibt es politische
Geschäfte auf Gegenseitigkeit, aber kaum Loyalitäten jenseits
familiärer Bindungen. Zu wem auch? Ein Staat nach westlicher
Vorstellung existiert nicht. Gewählt werden daher Vertreter des
eigenen Clans, die öffentliche Leistungen garantieren. Im Regelfall
also der größte regionale Grundbesitzer oder der von ihm benannte
Kandidat – egal, ob Drogenbaron oder Ehrenmann. Denn das Gros der
Afghanen kann sich nur von solchen lokalen Größen einen Arbeitsplatz,
einen Brunnen, ein Almosen oder Schutz erhoffen.
Der Präsident und sein Staat spielen dagegen so gut wie keine
Rolle. Noch weniger zählt, was auswärtige Mächte wie Deutschland als
Demokratie anpreisen. Denn das hat viel mit der Innenpolitik in
westlichen Ländern, aber wenig mit der afghanischen Gesellschaft zu
tun. So gehen die importierten Demokratieformen samt
Entwicklungshilfe an den meisten Afghanen vorbei. Die
Machtverhältnisse bleiben die alten, logischerweise auch im
Parlament.
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