Völlig überhöht
Thilo Sarrazin beruft sich auf die Meinungsfreiheit, und seine
Fans werfen Kritikern vor, sie ihm abzusprechen. Das trifft in keiner
Weise zu. Der Bundesbanker hat ein Buch geschrieben, das
veröffentlicht ist. Er hat es vor breitem Publikum in den Räumen der
Bundespressekonferenz vorgestellt. Vorab fanden sich ausführliche
Auszüge in den Medien. Und seit dem Erscheinen berichtet ganz
Deutschland über den Autor und seine Thesen. Wo also wird hier jemand
mundtot gemacht?
Eher ist das Gegenteil der Fall. Manch einer scheint das zu
verwechseln: Zur Meinungsfreiheit gehört nämlich auch, dass jeder von
Genetik-Thesen und Migranten-Sprüchen halten kann, was er will – und
Sarrazin auch verbal angreifen darf. Dass der Selbstdarsteller Kritik
im besonderen Maße auf sich zieht, ist also nicht Ausdruck einer
eingeschränkten, sondern vielmehr beiderseits gelebten
Meinungsfreiheit.
Dieses Grundrecht im aktuellen Fall missachtet zu sehen zeugt von
einer völligen Überhöhung der Fragen, um die es geht. Sarrazin kann
seine Sicht der Dinge öffentlich und straffrei darlegen. Das Recht
zur Kritik daran hat übrigens auch ein Arbeitgeber, vor allem dann,
wenn eine teuer bezahlte Führungskraft sich schriftlich verpflichtet
hat, dem Ansehen des Hauses nicht zu schaden. Verstößt sie dagegen,
ist es die eigene Entscheidung fernab der Frage nach
Meinungsfreiheit. Entsprechend taugt Sarrazin im Falle beruflicher
Sanktionen auch nicht zum Märtyrer, sondern trägt lediglich die
Folgen seiner Provokationen.
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