Neue OZ: Kommentar zu Börsen / Finanzmarkt

Der Grat ist schmal

Unterschiedlicher als zwischen der EZB und der US-Notenbank Fed
könnten im marktwirtschaftlichen System die Philosophien der
Geldpolitik kaum sein: hier in Europa die Bewahrer der Währung und
der politischen Unabhängigkeit, dort in Amerika die Helfer für in Not
geratene Präsidenten und Verbraucher. Welche dieser Philosophien auf
Dauer am meisten Erfolg verspricht, ist schwer abzuschätzen, auch für
die Finanzmärkte. Gestern geriet zwar der Dollar unter Druck, was
dafür spricht, dass Anleger der EZB stärker als der Fed vertrauen.
Doch gleichzeitig erfasste der Run auf Aktien auch die Wall Street,
was Optimismus für die Zukunft von Amerikas Unternehmen erkennen
lässt.

Europa kann sich 2010 dank des starken Zugpferdes Deutschland
wirtschaftlich positiv von den USA abheben. Aber das muss – wie sich
schon oft gezeigt hat – kein Dauerzustand sein. Und das Verharren auf
dem historischen Leitzins-Tief sowie die Bereitschaft der EZB zum
weiteren Aufkauf von Anleihen schwacher Euro-Staaten wie Griechenland
machen deutlich, dass die Wirtschaftskrise auch auf dem Alten
Kontinent noch lange nachwirkt. Der Grat, auf dem sich die EZB
bewegt, ist weiterhin schmal. Deshalb sollten Europäer mit
Schuldzuweisungen in Richtung USA vorsichtig sein. Und deshalb gibt
EZB-Präsident Trichet mit seiner Zurückhaltung auch für die deutsche
Politik ein gutes Vorbild ab.

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