Neue OZ: Kommentar zu Brasilien / Iran / Justiz / Todesstrafe

Gelungener Coup

Andere Länder, andere Sitten: Als Brasiliens Staatschef Lula da
Silva kürzlich über das Ende seiner Amtszeit sprach, kamen ihm vor
Rührung die Tränen. „Ich glaube, ich werde alt“, kommentierte der
frühere Gewerkschafter die Gefühlsregung angesichts des zwangsweisen
Abtritts, da er nach zwei Amtsperioden zum Jahresende weichen muss.

Auch in der internationalen Politik pflegt Lula einen anderen
Stil. Drohen, schimpfen, sich empören: Das ist, grob gesagt, die
westliche Art des Umgangs mit dem Regime im Iran. Anders Lula. Völlig
überraschend präsentierte er gemeinsam mit den Türken im Mai ein
Konzept, die Anreicherung von Uran außerhalb des Landes vorzunehmen
und somit alle realen und emotionalen Klippen des ewigen Atomstreits
mit Ahmadinedschad zu umschiffen.

Brasilien? Iran? In Europa hatte eine Verbindung beider Länder
seinerzeit niemand auf der Rechnung, und schon gar keine, die anders
als das hiesige Mühen zu zählbaren diplomatischen Erfolgen führt.

Im Fall der von der Steinigung bedrohten Sakineh
Mohammadi-Aschtiani ist Lula nun ein ähnlicher Coup gelungen. Während
alle Welt das Urteil wortreich verurteilt, schritt der Brasilianer
zur Tat und bot der wegen Ehebruchs zum Tode verurteilten Iranerin
kurzerhand Asyl an.

Wieso ist sonst keiner auf diese ebenso pragmatische wie
menschliche Idee gekommen, mit der alle Seiten ihr Gesicht hätten
wahren können? Selbst wenn aus diesem letzten von Lulas Vorstößen
nichts zu werden scheint: Er zeigt, dass es lohnen kann, die
europäisch-amerikanisch verengte Sicht auf globale Probleme zu
erweitern. Es wäre gut, falls Lula seine Talente künftig tatsächlich
im Rahmen der UNO einsetzt.

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