Erneut unterschätzt
Sollte es so sein, wie man es von Christian Wulff schon aus seiner
Zeit als niedersächsischer Regierungschef kennt? Und vor allem: aus
der Zeit davor, in der der jetzige Bundespräsident bereits notorisch
unterschätzt worden ist? Die Wandlung seiner Wahrnehmung ist seit dem
Antritt im Schloss Bellevue jedenfalls beachtlich. Bestes Beispiel
dafür sind die Grünen. Zogen sie zu Beginn scharf über ihn her,
schlagen sie Horst Köhlers Nachfolger inzwischen für den Karlspreis
vor. Das ist nicht irgendeine Auszeichnung: Walter Scheel hat sie
erhalten, Bill Clinton, Konrad Adenauer, Václav Havel. Große Männer
also. Aber Köhler? Fehlanzeige.
Wulffs Rede zum Tag der Deutschen Einheit wurde zunächst ebenfalls
unterschätzt. Langweilig, so hieß das erste Urteil vieler
Kommentatoren. Sie lagen daneben, wie sich zeigte, als die Debatte an
Wucht gewann. Mit seinem schlichten Satz, auch der Islam gehöre zu
Deutschland, hat der Präsident mehr Wirkung entfaltet als mancher
Vorgänger in einem ganzen Jahr. Auch der Auftritt in der Türkei war
souverän mit dem gelungenen Bogenschlag, dort spiegelbildlich das
Christentum als zugehörig zu bezeichnen.
Die Frage war, wie sich Wulff abseits der Tagespolitik als
Präsident positioniert. Inhaltlich gelingt es ihm gut. In seinem
zuweilen bemühten Auftreten wird er noch an Souveränität gewinnen –
wie es als Ministerpräsident auch der Fall war. Seine Kritiker hätten
gewarnt sein können.
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