Neue OZ: Kommentar zu Euro / Merkel

Wie Investoren ticken

Im Zweifel sollte man Jean-Claude Trichet mehr Kompetenz in
Finanzfragen unterstellen als Angela Merkel. Und die Sorge des
EZB-Präsidenten ist berechtigt, dass die von der Bundeskanzlerin beim
EU-Gipfel angestrebte Einigung auf eine Beteiligung privater
Gläubiger an Hilfen für überschuldete Euro-Länder die Währungskrise
verschärfen könnte. Denn dieser Plan sieht in letzter Konsequenz die
Bankrotterklärung eines solchen Staates durch die Euro-Finanzminister
vor. Das ist bisher unmöglich.

Warum sollten Gläubiger von Staaten bei Pleiten anders reagieren
als solche von Unternehmen, etwa Lieferanten von Baufirmen, die
Insolvenz anmelden? Und wie Investoren in Krisen ticken, zeigt sich
beim Bank-Run, wie ihn zuletzt das britische Geldhaus Northern Rock
erlebt hat. Dann lautet nämlich stets das Motto: Rette sich, wer
kann.

Moralische Appelle und demonstrative Gelassenheit, wie sie Merkel
gestern im Bundestag an den Tag legte, werden den Euro nicht aus der
Krise führen. Das könnte nur der Wille zu koordinierter Wirtschafts-,
Finanz- und Sozialpolitik. Und natürlich der Wille zur Wahrheit: Denn
bis zur Finanzkrise galt die deutsche Wirtschaft als notorisch
wachstumsschwach, wurde den Bundesbürgern von Politik, Wirtschaft und
Wissenschaft lange Zeit weisgemacht, sie hätten den größten
Reformbedarf aller Europäer. Das kann sich binnen zweier Jahre nicht
umgekehrt haben.

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