Neue OZ: Kommentar zu Migration / Gesellschaft

Erst nachdenken

Das war zu erwarten: Nach der offiziellen Aufregung über Thilo
Sarrazin und dessen Thesen wechselt inzwischen der Akzent. Ein
breiter Chor verlangt Sanktionen gegenüber Ausländern, die sich nicht
anständig integrieren. Das ist auch legitim, sofern es gravierende
und schädliche Verstöße gibt und der Anlass nicht einfach in
kulturellen Eigenheiten besteht, die ebenso berechtigt wie
bereichernd sind.

Nur: Die Forderung nach mehr Härte gegenüber Migranten belegt,
woran Sarrazins Argumentation generell krankt. Dass nämlich das
Ausnutzen des Sozialstaats keineswegs ein Spezifikum von Menschen mit
ausländischen Wurzeln ist, dass auch Jugendgewalt und
Bildungsschwäche eher Fragen der sozialen Schicht als der Herkunft
sind. Entsprechend greift es zu kurz, diesen Strang der Debatte auf
die Integration zu verengen. Wer Hartz IV illegitim bezieht oder sich
nicht an die Regeln hält, sollte mit Sanktionen rechnen – ganz
gleich, ob er seinen deutschen Stammbaum über Jahrhunderte
zurückverfolgen kann oder nicht.

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wer es vermengt, kommt
zu kruden Schlüssen wie etwa jener Arzt in einer wohl kaum
überfremdeten osthessischen Kleinstadt, der in seiner Praxis ein
Kopftuchverbot für angezeigt hielt und keine Großfamilien mehr sehen
will. Er ist ein Beispiel dafür, wie schnell berechtigte Fragen
gefährliche Folgen haben, wenn Fremdenfeindlichkeit das logische
Denken trübt.

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