Neue OZ: Kommentar zu Türkei / Medien / Dink / Justiz

Der Staat hat versagt

Diese öffentliche Ohrfeige schmerzt. Und das soll sie auch. Indem
die Straßburger Richter der Türkei die Mitschuld für den Mord an dem
türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink geben, machen sie eines
unmissverständlich klar: Ein Staat, der dem Europarat angehört und
zudem auf eine EU-Mitgliedschaft hofft, kann sich nicht an Gesetzen
vorbeimogeln, täuschen und vertuschen, ohne dass dies geahndet wird.

Im Fall Dink ist es offensichtlich, dass der Staat einen bedrohten
Bürger vorsätzlich nicht geschützt hat. Die Mordpläne türkischer
Nationalisten waren den Behörden vorher bekannt, sogar die Identität
der mutmaßlichen Anstifter. Unternommen wurde nichts. Im Gegenteil:
Nach den tödlichen Schüssen auf Hrant Dink feierten Polizisten den
gefassten minderjährigen Mörder. Erst eine nationale Welle der
Empörung brachte die extremistischen Beifallklatscher zur Ruhe.

Dass die Regierung in Ankara nun angewiesen wird, der Familie des
Opfers Schmerzensgeld zu zahlen, darf kein Schlusspunkt sein.
Wichtiger ist es, die Hintergründe des Attentats und die Drahtzieher
zu ermitteln. Zudem wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, sich endlich
der Vergangenheit zu stellen. Beweise für den Völkermord an den
Armeniern gibt es reichlich. Dink hatte die Regierung aufgefordert,
diesen anzuerkennen. Das war sein Todesurteil.

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