Zu Recht gewürdigt
Wer die Charta der Vertriebenen richtig verstehen will, muss sich
die Zeitumstände des Jahres 1950 vor Augen führen: Millionen Deutsche
hatten Heimat, Hof und Besitz verloren und mussten ihr schwieriges
Schicksal meistern. Oft hartherzig empfangen, hausten sie vielfach
unter ärmlichen Bedingungen. Fünf Jahre nach Kriegsende fühlten sich
gerade die Vertriebenen als größte Verlierer unter den Deutschen.
Dass es für sie einen eigenen Minister im Kabinett gab, zeigt, welche
Bedeutung dieser Gruppe zukam.
Die Vertriebenen verzichteten in dieser Situation ausdrücklich auf
Rache und Gewalt und sprachen von Versöhnung. Das wirkt heute
selbstverständlich. Und natürlich hat niemand das Recht, mit Gewalt
auf Unrecht zu antworten. Aber eine Radikalisierung von Vertriebenen
wäre vor sechs Jahrzehnten durchaus möglich gewesen. In vielen
Regionen der Erde haben Menschen, die ihre Heimat räumen mussten, mit
Aggression reagiert. Gerade deswegen ist es richtig, die
friedensstiftende Charta wieder und wieder zu würdigen.
Inzwischen besuchen die Kinder und Enkel von Vertriebenen die Orte
ihrer Vorfahren in Polen und betreiben dort Familienforschung. Die
Situation hat sich entspannt. Was also würden sich Erika Steinbach
und andere Funktionäre vergeben, wenn sie heute – wie etwa Richard
von Weizsäcker in seiner berühmten Rede am 8. Mai 1985 – auch die
Ursachen der Vertreibung, die Gräueltaten des NS-Regimes, stärker
erwähnten?
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