Siemens ist Wirbel gewohnt. Die Liste der Aufregerthemen
reicht vom Schmiergeldskandal bis zur Debatte über Gasturbinen auf der Krim. Die
jüngsten Turbulenzen sind trotzdem einzigartig. Ein marginaler
18-Millionen-Auftrag für ein Kohlebergwerk im fernen Australien kostet den
Konzern den Kredit, den er sich mit seiner gesellschaftspolitischen
Positionierung in den vergangenen Jahren erarbeitet hat. Klimaschützer mit
Fridays for Future an der Spitze treiben Siemens samt seinem Chef Joe Kaeser
vor sich her. Was ist daraus zu lernen?
Die Lehren sind vielschichtig, aber sie können in einem Satz zusammengefasst
werden: Die Wirtschaft muss schnellstens die neuen Spielregeln in Zeiten des
Klimawandels lernen. In der alten Welt mag es möglich gewesen sein, sich als
Zulieferer für ein Giga-Kohlebergwerk einspannen zu lassen, während in
Australien der Busch brennt und Fridays for Future seit Monaten Millionen auf
die Straße bringt.
Nach den neuen Spielregeln ist dies unmöglich, mag die Order noch so klein sein.
Die Klimaschützer sind bestens vernetzt, außerdem alarmieren die Wetterextreme
viele Menschen rund um den Globus. Ausgerechnet in jenem Jahr, in dem Siemens
die Energy-Sparte an die Börse bringen will, ist ein gigantischer
Reputationsschaden die Folge.
Es ist ernüchternd, dass sogar ein globaler Konzern nicht erkannt hat, wie
gefährlich ein solcher Auftrag sein kann. Es fehlen Strukturen, die eine
granulare Überwachung kritischer Geschäfte möglich machen. Dieses Problem reicht
weit über Siemens hinaus. Jedes Unternehmen muss sich prüfen, ob es weiß, was es
weltweit zur Erderwärmung beiträgt. Wenn Geschäfte abgeschlossen sind, ist es zu
spät. Schließlich können Vertragspartner zu Recht darauf pochen, beliefert zu
werden.
Wer denkt, er könne sich diesen Kontrollaufwand sparen, weil Klimaschützer auf
Multis zielten, der liegt falsch. Denn die Aktivisten wie Fridays for Future
sind nur die Vorhut. In einem zweiten Schritt werden Gerichte über Klimasünden
urteilen. In den USA laufen die ersten Verfahren. Es kann jeden treffen, der
seine Prozesse nicht im Griff hat. Noch spürbarer ist der dritte Schritt:
Regulatoren werden Umwelteinflüsse und Dekarbonisierung thematisieren. Späte
Reaktionen werden dann teuer.
Klar ist zwar: Klimaschutz ist für deutsche Unternehmen ein vertrautes Thema,
allerorts gibt es deshalb strategische und operative Veränderungen. Nun aber
muss es viel schneller gehen als ursprünglich gedacht. Nur wer konsequent
handelt, bleibt nach den neuen Regeln im Spiel.
(Börsen-Zeitung, 14.01.2020)
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